Mein Konto
    Seht mich verschwinden
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Seht mich verschwinden
    Von Asokan Nirmalarajah

    Am 17. November 2010 starb Isabelle Caro im Alter von nur 28 Jahren an den Folgen ihrer Magersucht. Die junge Französin war zu dem Zeitpunkt eines der bekanntesten Models ihres Landes. Die große Medienpräsenz in ihren letzten Lebensjahren war einer kontroversen Kampagne des berühmten Benetton-Fotografen Oliviero Toscani geschuldet, der Caro für eine Aufnahme engagierte, auf der ihr von der Essstörung Anorexia nervosa gezeichneter Körper (nur 32 Kilogramm bei einer Größe von 1,65 Meter) nackt sitzend vor einem grauen Hintergrund zu sehen ist. Die Aktion gegen den Schlankheitswahn der Modewelt erhielt eine solche Aufmerksamkeit, dass Caros damals noch weitgehend unerfüllter Traum einer Karriere als Model plötzlich wahr zu werden begann: Sie erhielt zahlreiche Modelaufträge und veröffentlichte die Bestseller-Autobiografie „Das kleine Mädchen, das nicht dick werden wollte“. In dieser Phase ließ sich Caro auch auf ein ausführliches Videointerview mit der Filmemacherin Kiki Allgeier ein. Dieses Material ist nun ein wesentlicher Bestandteil des Dokumentarfilms „Seht mich verschwinden“, in dem die Regisseurin das alte Interview, ein Videotagebuch und zahlreiche Medienauftritte des Models sowie Familienfotos und -videos aus der Sammlung von Caros Vater zu einem ebenso bedrückenden wie faszinierend vielschichtigen Psychogramm der Verstorbenen zusammenfügt.

    Behutsam und distanziert blickt Regisseurin Kiki Allgeier auf ihre Hauptfigur Isabelle Caro und zeichnet deren kurzes Leben nach - von einer unbeschwerten Kindheit über die frühe Magersuchterkrankung bis zum zwiespältigen Erfolg als Model. Die Filmemacherin gibt sich dabei nicht mit voreiligen oder einseitigen Erklärungen zufrieden, vielmehr bringt sie von Szene zu Szene neue Erkenntnisse und Ansichten über Caro hervor, die häufig den vorhergehenden Annahmen widersprechen. Die Protagonistin selbst entpuppt sich als bemerkenswert geschickte Geschichtenerzählerin und Medienbändigerin, die nicht einfach nur das Opfer einer Krankheit war, sondern daraus auch ihren Vorteil zu ziehen wusste. Das ausgeprägte Bedürfnis der jungen Frau nach Aufmerksamkeit findet zusätzliche Ventile in ihrer Tätigkeit als Jurorin bei „Top Model France“ und in ihrer Begegnung mit Jessica Simpson für deren Serie „The Price of Beauty“ über die psychischen Gefahren des Körperkults. Bei all dem wirkt Caro mit ihrem unvergesslichen Gesicht zuweilen wie ein Alien, das auf Erden wandelt und über die Reaktionen der Menschen auf seinen Körper schmunzelt (ganz so wie Scarlett Johanssons Figur in Jonathan Glazers „Under the Skin“). Und Allgeier macht aus dem Nachruf auf eine faszinierende Persönlichkeit zugleich einen Essay über den Themenkomplex Models, Magersucht und Medien.  

    Fazit: „Seht mich verschwinden“ ist eine psychologisch komplexe Dokumentation über eine mysteriöse Frau und ein Pflichtprogramm zum Thema Magersucht sowie zur Körperdarstellung in den Medien.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top