Ein Film der vieles will. Soviel, dass es manchmal ein wenig zu viel auf einmal ist. Gerade in der mit prinzipiell versiertem Dialog überladenen ersten Hälfte gibt es viele ausgezeichnete Momente, in denen Henry als Ersatzvater, Hausverwalter und Retter kleiner Brüder brillieren darf. Die meisten dieser Szenen werden allerdings allzu atemlos abgehakt, denn der große Plan im titelgebenden Buch muss schließlich irgendwann beginnen. Erst nach einer großen Prüfung für die meisten Figuren darf ein wenig Ruhe einkehren.
Schade, denn gerne hätte man Henry, der jetzt nur noch als Stimme aus dem Off auftaucht, gerne noch besser kennengelernt. Dafür gibt es nun für Naomi Watts die Gelegenheit die Mutter zu spielen, die sie vorher nie sein konnte. Ein Wandel, der entgegen aller Vermutungen recht gut funktioniert, denn mit Henrys Notizbuch hat sie einen Sinn im Leben gefunden und der Film nimmt schon bald wieder Fahrt auf.
Wie in einem gut geölten Getriebe greifen Henrys Vorbereitungen und der Genrewechsel mitten im Film ineinander. Ein mutiger Schritt, das Familiendrama dann zumindest kurzzeitig zum potentiellen Thriller werden zu lassen. Die scheinbar unmoralischen Komponenten von Henrys Plan haben so manchen Kritikerkollegen arg schlucken lassen, doch wenn man die Klimax erst einmal auf sich wirken lässt und noch dazu aufmerksam der Handlung folgt, dann kommt man womöglich zu dem Schluss, dass Henry die ganze Zeit über vor allem auf die Kraft von Familie und Zusammenhalt gesetzt hat.
Dafür sprechen auch die märchenhaften Elemente der letzten großen Szene, bei der eine mal witzige und mal poetisch arrangierte Schullaufführung mit einer gnadenlosen Hetzjagd auf den Übeltäter des Film gegengeschnitten wird. Zusammen mit dem Retro-Design, erinnert das ein wenig an die Verspieltheit von Jean-Pierre Jeunets "Die Karte meiner Träume". Nur ist "The Book of Henry" zwar ein Film über Kinder aber nicht unbedingt für Kinder. Eher für erwachsene Spielberg-Fans wie Colin Trevorrow, die verspielte Kinderzimmer und herbstliche Farben auf analogem Filmmaterial zu schätzen wissen.
Trotz kleinerer Schwächen bleibt "The Book of Henry" ein meist gleichermaßen unterhaltsamer wie berührender Film, für den man sich Zeit nehmen sollte. Denn unter den ganzen gewitzten Sprüchen und schicken Dekorationen liegt eine warmherzige Familiengeschichte verborgen, die in der Regel ganz ohne Kitsch auskommt. Und eine Welt, in der Erwachsene hilfloser als manches Kind sind und sich von gutem Ruf und Alltagsproblemen blenden lassen ist gar nicht mal so unrealistisch.