Selbst für einen erfahrenen Veteranen wie Joe Kelly, der für Marvel als Autor unter anderem Storylines zu „Daredevil“, „Spider-Man“ und „X-Men“ beigesteuert hat, war die Arbeit an der Comic-Reihe „I Kill Giants“ etwas ganz Besonderes. Seine vielschichtige Coming-of-Age-Geschichte über eine emotional überforderte Teenagerin überführte der japanische Zeichner J. M. Ken Niimura in Schwarz-Weiß-Bilder mit grobem, schnellem Strich und schiefen Perspektiven, die durchaus an den Artwork-Stil von Mangas erinnern. Inhalt und Form ergaben dabei eine mitunter chaotische, aber gerade deshalb am Ende so gut funktionierende Einheit, weil die Bilder jederzeit das aufgewühlte Innenleben der Protagonistin Barbara spiegeln.
Obwohl Joe Kelly nun selbst das Drehbuch für die Leinwandadaption seines Comics beigesteuert hat (in den USA lief „I Kill Giants“ in den Kinos, während er in Deutschland direkt auf DVD und Blu-ray erscheint), erreicht das mit fantastischen Elementen angereicherte Charakterdrama nie die Originalität der Vorlage - und das liegt vor allem an der mutlosen Inszenierung der 15-Millionen-Dollar-Produktion, bei der sich Regisseur Anders Walter viel zu sehr auf den bekannten Look deutlich höher budgetierter Fantasy-Blockbustern verlässt, statt wie im Comic einen ganz eigenen visuellen Stil zu kreieren.
Die Teenagerin Barbara (Madison Wolfe) flüchtet sich regelmäßig in aufregende Fantasiewelten, in denen sie immer wieder gegen bedrohliche Riesen antreten muss. In der Schule wird die Einzelgängerin unterdessen gemobbt, ihre einzige Freundin ist die gerade erst in die USA gezogene Engländerin Sophia (Sydney Wade). Während die Schulpsychologin Mrs. Mollé (Zoe Saldana) sich der Teenagerin annimmt, weil sie hinter der harten Fassade ein eingeschüchtertes Mädchen vermutet, wachsen Barbara ihre familiären Probleme zunehmend über den Kopf…
Obwohl der Trailer eher ein großes Fantasy-Spektakel vermuten lässt, behält Joe Kelly in seinem Drehbuch den Fokus der Comicvorlage bei: So geht es nun auch in der Verfilmung vor allem um die Ängste und Sorgen eines emotional überforderten Teenagers beim Erwachsenwerden, während die punktuell eingesetzten Actionszenen mit ihren gelungenen CGI-Effekten eher als auflockernde Schauwerte dienen. Dass der Film dabei trotz einiger Längen niemals zu einer zäh-psychologisierenden Angelegenheit verkommt, ist dabei vor allem der starken Leistung von Shooting-Star Madison Wolfe („Conjuring 2“) zu verdanken.
Die zum Zeitpunkt der Dreharbeiten gerade einmal 13 Jahre alte Nachwuchsdarstellerin setzte sich beim Casting gegen 500 Mitbewerberinnen durch. Sie verkörpert Barbara vielschichtig und authentisch, wenn sie den Provokationen ihrer Mitschülerin Taylor (Rory Jackson) fast schon genervt cool Paroli bietet, die Baseballtrainerin mit kecken Kommentaren beleidigt oder sich später unter Tränen ihrer größten Angst im eigenen Zuhause stellt. Zoe Saldana (Gamora in „Guardians Of The Galaxy“ & „Avengers: Infinity War“) sprang kurzfristig für die ursprünglich für den Part als Schulpsychologin vorgesehene Halle Berry („Catwoman“) ein und überzeugt in den ruhigen Dialogen mit einer gleichermaßen empathischen, aber dabei ungleich weniger präsenten Performance.
Sofort positiv fällt an „I Kill Giants“ die sorgfältige Ausstattung auf. So ist Barbaras mit Kristallen besetztes Fernrohr einfach ein unheimlich liebevoll gestaltetes Requisit und auch ihr privates Refugium hinter einem umgekippten Bootswrack erweist sich mit seinen Arrangements aus Muscheln, Federn, Seilen und Büchern als detailverliebtes, das Innere der Protagonistin nach außen hin sichtbar machendes Setdesign. Aber während Ausstattung und Sets handwerklich voll überzeugen, enttäuscht der an Schauplätzen in Belgien und Irland gedrehte Film letztendlich doch mit einer gewissen visuellen Mutlosigkeit.
Eine 90-sekündige, monochromatisch eingefärbte Tricksequenz, während der Barbara ihrer neuen Freundin Sophia aus dem Off die verschiedenen Typen von Riesen mitsamt ihren speziellen Eigenheiten erklärt, bleibt die einzige formale Referenz an die Kunstform des Comics. Darüber hinaus hebt sich „I Kill Giants“ optisch kaum von ähnlich gelagerten Produktionen wie „BFG: Big Friendly Giant“ oder „Sieben Minuten nach Mitternacht“ ab, denen er in Sachen Atmosphäre und Unterhaltungsfaktor dann aber doch nicht ganz das Wasser reichen kann.
Der 2014 für „Helium“ mit dem Kurzfilm-Oscar ausgezeichnete Regisseur Anders Walter geht in seinem Langfilmdebüt auf Nummer sicher und setzt auf klare frontale Perspektiven und altbekannte Effekte. Riesen verbergen sich bevorzugt tief im nebligen Wald, bevor sie zum Angriff übergehen - und wenn sich zum großen Finale ein besonders fieses Exemplar aus den Tiefen des Meeres erhebt, fühlt man sich an eine Szene aus den „Transformers“-Filmen erinnert. Etwas Experimentierfreude bei den Kameraperspektiven etwa in Anlehnung an die Panels der Vorlage im Manga-Zeichenstil hätte hier sicher nicht geschadet, um speziell in den Fantasy-Sequenzen einen eigenständigeren und nicht nur von den offensichtlichen Vorbildern übernommenen Look zu kreieren.
Fazit: „I Kill Giants“ überzeugt dank hervorragender Darsteller und gelungener Computereffekte als psychologisches Charakterdrama und als spannender Fantasyfilm – nur fügen sich diese beiden Elemente im Film leider lange nicht so stimmig zusammen wie in der Vorlage, was vor allem an der allzu zahmen Umsetzung des gerade visuell sehr viel aufregenderen Comics liegt.