Gerade erst hat Joel Edgerton in dem Gangster-Drama „Black Mass“ als jovial-korrupter FBI-Agent selbst Superstar Johnny Depp in der ein oder anderen Szene die Schau gestohlen (wie zuvor auch schon Leonardo DiCaprio in „Der große Gatsby“). Aber die ganz große Stunde des Australiers, der in Hollywood bisher meist in der zweiten Reihe stand, schlägt nun mit seinem Wechsel hinter die Kamera: Sein Langfilm-Regiedebüt „The Gift“ (nach den Kurzfilmen „The List“ und „Monkeys“) ist ein kleiner, aber sehr feiner Stalker-Thriller, in dem geschickt aufgebaute Erwartungen anschließend ebenso genüsslich wie perfide unterwandert werden. Und diese Qualität hat sich in Nordamerika auch schon ausgezahlt. Dort avancierte der von Günstig-Guru Jason Blum („Paranormal Activity“, „The Purge“) für nur fünf Millionen Dollar produzierte Low-Budget-Thriller zum Überraschungshit, der bereits 44 Millionen Dollar in die Kinokassen spülte.
Das Ehepaar Simon (Jason Bateman) und Robyn Callum (Rebecca Hall) zieht von Chicago in einen Vorort von Los Angeles, um dort einen Neuanfang zu wagen: Robyn sucht nach einer Fehlgeburt noch zu sich selbst und Simon beginnt einen neuen hochdotierten Job als IT-Sicherheitsspezialist. In ihrem eleganten neuen Haus in den Hollywood Hills fühlen sich die beiden aber nicht lange wohl: Als Simon eines Tages in einem Geschäft seinem alten Schulkameraden Gordo (Regisseur Joel Edgerton) über den Weg läuft, erweist sich dieser als extrem aufdringlicher Zeitgenosse, der selbst nach einem unangenehm-verkrampften gemeinsamen Essen nicht aus dem Leben der Callums verschwindet. Immer öfter taucht Gordo unangemeldet bei Robyn im Haus auf, wenn Simon gerade im Büro ist. Das Paar will unbedingt den Kontakt abbrechen, aber das ist gar nicht so einfach…
Nachdem er bereits die Drehbücher zu „The Square“ und „Felony“ geschrieben hat („The Rover“ mit Robert Pattinson basiert zudem auf seiner Idee), liefert Joel Edgerton mit dem Skript zu „The Gift“ nun sein Meisterstück vor. Ebenso intelligent wie geschickt jongliert er mit den Versatzstücken des Genres und gaukelt seinem Publikum lange Zeit vor, es würde nur einen dieser immer gleichen Stalker-Thriller schauen (wie etwa den nur eine Woche nach „The Gift“ startenden „The Perfect Guy“). Die vertraute Ausgangslage mit dem Eindringling, der eine heile Familienwelt zerstören will, wird gekonnt aufgegriffen: Der aufdringliche Gordo verteilt zunächst harmlose Präsente an seine neuen Möchtegern-Freunde - es beginnt mit einer Flasche Wein, dann folgen Zierfische für den kleinen Teich vor dem Haus. Das titelgebende Motiv des Geschenks (= „The Gift“) ist damit schnell etabliert - es bleibt bis zum extrem fiesen und angenehm offenen Finale omnipräsent: Nachdem sich die drei Protagonisten lange Zeit belauert haben (das ist vor allem dank der starken Schauspieler effektiv und spannend), reißt Edgerton das erzählerische Ruder hart herum, um so völlig neue Einblicke in die Figuren zu eröffnen. In der neu entstandenen Konstellation, die der Filmemacher mit einigen dezent gestreuten Hinweisen vorbereitet hat, verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse zunehmend, bis sich der Betrachter irgendwann nicht mehr sicher sein kann, auf wessen Seite er bei diesem Katz-und-Maus-Spiel denn nun eigentlich stehen soll.
Die drei Hauptdarsteller leisten in „The Gift“ auf ganz unterschiedliche Weise vortreffliche Dienste: Jason Bateman („Kill The Boss“) überzeugt als arroganter Yuppie, der auf andere herabschaut statt Mitgefühl zu zeigen (und im Gegensatz zu seinen vergleichbaren Comedy-Rollen ist er dabei auch nicht noch irgendwie sympathisch, sondern wunderbar schmierig). Rebecca Hall („Vicky Cristina Barcelona“) agiert hingegen deutlich subtiler: Robyn Callum ist ebenso clever und tough wie fragil und einfühlsam, wobei sie permanent ihre Balance zu verlieren droht. Und dann ist da noch Joel Edgerton mit seinen rotbraungefärbten Haaren und braunen Kontaktlinsen, der als The Weirdo (so Gordos Rufname in der Schule) das Publikum zum Fremdschämen provoziert. Er spielt einen echt unangenehmen Zeitgenossen, der die unberechenbare Gefährlichkeit eines Psychopathen ausstrahlt und den wohl auch jeder Zuschauer sofort wieder loswerden wollen würde, hinter dem sich aber noch sehr viel mehr und vor allem sehr Tragisches verbirgt.
Fazit: Mit seinem abgründig-doppelbödigen Thriller „The Gift“ glückt Schauspieler Joel Edgerton ein erstaunlich reifes Kino-Regiedebüt. Die scheinbare Formelhaftigkeit, mit der er das Publikum in Sicherheit wiegt, erweist sich als genial-trügerischer Kniff.