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    Tatort: Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Tatort: Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes
    Von Lars-Christian Daniels

    Kaum ein zweiter Mörder vermochte die „Tatort“-Zuschauer in den letzten Jahren so zu gruseln wie der von Lars Eidinger („Was bleibt“) eindringlich verkörperte Psychopath Kai Korthals: Im hochspannenden „Tatort: Borowski und der stille Gast“ schlich sich der vermeintlich freundliche Postbote 2012 in fremde Wohnungen und wühlte tief in der Privatsphäre seiner Opfer. Er las ihre Briefe, roch an ihren Turnschuhen und benutzte sogar ihre Zahnbürsten – bevor er sie schließlich brutal ermordete. Einen ganz besonderen Schockeffekt hob sich Drehbuchautor Sascha Arango („Die Abenteuer des Huck Finn“) für die Schlussminute auf: Nach seiner Verhaftung flüchtete der „stille Gast“ aus einem Krankenwagen und war damit einer der ganz wenigen Täter, die in der Krimireihe entkamen. Das TV-Publikum war aus dem Häuschen – und obwohl die Geschichte eigentlich zu Ende erzählt sein sollte, entschloss sich der NDR aufgrund des überwältigenden Echos zu einem Sequel: In Claudia Gardes „Tatort: Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes“ erhalten die Kieler Kommissare ihre zweite Chance, Kai Korthals das Handwerk zu legen. Die Fortsetzung des erstklassigen Vorgängers ist ein erneut hervorragender Psychothriller, der nicht nur beim Stammpublikum großen Anklang finden dürfte.

    Hauptkommissarin Sarah Brandt (Sibel Kekilli) staunt nicht schlecht, als am Neujahrsmorgen eine geistig verwirrte Frau auf dem Kieler Polizeipräsidium auftaucht: Mandy Kiesel (Lea Draeger), die viele Jahre ihres Lebens in der Psychiatrie verbracht hat, wurde von einem Unbekannten entführt, gefoltert und anschließend in einer mit Luftlöchern versehenen Tiefkühltruhe ausgesetzt. Erzählt die Frau, die offenbar gerade ein Kind zur Welt gebracht hat, die Wahrheit? Oder hat sie sich die Verletzungen selbst zugefügt? Klaus Borowski (Axel Milberg), der die Silvesternacht mit seiner alten und neuen Flamme Frieda Jung (Maren Eggert) verbracht hat und Heiratspläne schmiedet, entlockt der traumatisierten Frau einen Hinweis auf Kind und Täter: Kiesel zeichnet ein Bild von Frauenmörder Kai Korthals (Lars Eidinger), dem ein paar Jahre zuvor unter spektakulären Umständen die Flucht gelungen war. Aber ist er auch der Gesuchte? Anders als Brandt, die damals selbst von dem Psychopathen heimgesucht wurde, hegt Borowski Zweifel, denn Korthals‘ Bild war in allen Zeitungen. Er ändert seine Meinung, als plötzlich seine Geliebte entführt wird ..

    Auch Unmenschen ändern sich“, wirft Brandt bei der ersten Täteranalyse ein, und bringt damit eines der Leitmotive des Films auf den Punkt. Der zweifache Grimme-Preisträger Sascha Arango, der der Krimireihe in den vergangenen Jahren erstklassige Folgen wie „Tatort: Borowski und der Engel“ bescherte, hätte es sich einfach machen können: Die Geschichte um den gruseligen „stillen Gast“ hätte in ähnlicher Form auch ein zweites Mal funktioniert und wäre dabei sicher kaum weniger spannend ausgefallen als der vielgelobte Vorgänger. Doch der Ausnahme-Autor spinnt die Handlung weiter: Korthals hat sich verändert, denn er ist Vater geworden und wird von neuen Motiven angetrieben. Dass er die Mutter des Kindes grausam misshandelt und sich selbst überlässt, ist dabei nur einleitend von Bedeutung:  Statt einer fieberhaften Suche nach Korthals und eines Wettlaufs gegen die Zeit, bei dem es weitere Opfer zu verhindern gilt, entspinnen Arango und Regisseurin Claudia Garde („Das Glück der Anderen“) ein hochemotionales Mann-gegen-Mann-Duell, bei dem sich der sonst so besonnene Borowski über sämtliche Dienstvorschriften hinwegsetzt.

    Der Kieler Hauptkommissar zeigt sich aufgrund seiner persönlichen Betroffenheit so aufgewühlt wie selten: Entgegen seinem eher unterkühlten norddeutschen Naturell erleben wir Borowski im 964. „Tatort“ verzweifelt und oft machtlos gegenüber dem gewieften Erzfeind. Korthals sitzt dank seiner Geisel am längeren Hebel und sucht die direkte Konfrontation, was die Filmemacher in ihrer Dramatik gekonnt zuspitzen. Doch auch Borowski weiß um sein Druckmittel: Sein Trumpf ist das Baby, das man rechtzeitig vor dem Psychopathen in Sicherheit gebracht hat. Nach einem anfänglichen Wechselspiel aus Spannung und Entspannung entwickelt sich ein fiebriges Duell zweier Männer, die bis zum Äußersten gehen – und wenn sich die beiden in der Küche des Kommissars einen wilden Würgekampf liefern, liegen Gut und Böse so nah beieinander wie selten im „Tatort“. Dem blendend aufgelegten Axel Milberg („Die Hebamme“) bietet dies Gelegenheit, etwas mehr von seinem schauspielerischen Können zu zeigen als sonst im Kieler „Tatort“ – an seinem starken Auftritt ändert auch der alberne Schnurrbart nichts, mit dem der ansonsten glatt rasierte Ermittler allenfalls dem Ausstrahlungstermin im „Movember“ gerecht wird.

    Unumstrittener Star des raffiniert angelegten Psychothrillers ist dennoch Lars Eidinger: Der Theaterschauspieler brilliert in jeder einzelnen Sequenz und unterstreicht damit seinen Status als einer der besten Charakterdarsteller Deutschlands. Korthals‘ innere Gratwanderung zwischen verzweifeltem Vater, vordergründig normalem Durchschnittsbürger („Ich bin kein böser Mensch!“) und sadistischem Frauenmörder ist allein schon das Einschalten wert. Sie stellt selbst das gelungene, wenn auch etwas konstruiert wirkende einmalige „Tatort“-Comeback von Maren Eggert („Eltern“) in den Schatten, die im Zusammenspiel mit Milberg und Eidinger ebenfalls eine starke Performance abliefert. Die erstklassige Arbeit von Kameramann Philip Peschlow („Fünf Freunde 4“) und der stimmungsvoll-finstere Soundtrack sorgen zusätzlich für knisternde Atmosphäre, sodass der Zuschauer selbst in den ruhigeren Passagen des Films kaum zum Luftholen kommt. Und der Kieler „Tatort“ wäre nicht der Kieler „Tatort“, wenn nicht auch noch Zeit für feindosierte humorvolle Momente bliebe: Eine köstliche Anspielung auf „Star Wars“ rundet den hochklassigen Thriller ab.

    Fazit: Claudia Gardes „Tatort: Borowski und der stille Gast“ ist ein grandios gespielter und mit cleveren Wendungen gespickter Psychothriller, der bis in die Schlussminuten erstklassig unterhält.

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