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    What Happened, Miss Simone?
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    What Happened, Miss Simone?
    Von Christoph Petersen

    Seit die Parodie „Walk Hard - Die Dewey Cox Story“ schonungslos offengelegt hat, wie viele Klischees ein durchschnittliches Leinwand-Biopic bedient, sehen wir Filme des Genres einfach nicht mehr mit denselben Augen! Ein Beispiel: Von „Ray“ bis „Walk the Line“ – immer wird ein ganzes bewegtes Leben auf ein Ereignis in der Kindheit zurückgeführt, das alles erklärt. Hauptsache der Zuschauer hat beim Rollen des Abspanns das Gefühl, er hätte den Protagonisten durchschaut. Künstler-Dokus kämpfen mit derselben Herausforderung – und selten hat ein Filmemacher diese so eindrucksvoll gemeistert wie nun Liz Garbus: In ihrer Dokumentation „What Happened, Miss Simone?“ über die schwarze Jazz-Sängerin Nina Simone wagt sich sie sich nicht nur auch an die weniger ruhmvollen Facetten im Leben der Künstlerin, sondern zelebriert die unauflöslichen Gegensätze in der Vita ihrer Protagonistin sogar regelrecht. Da ist schnell zu spüren: Hier geht es nicht darum, krampfhaft einen roten Faden auszumachen, sondern darum, einer einzigartigen Persönlichkeit mit all ihren Widersprüchlichen ein Leinwanddenkmal zu setzen.

    Nina Simone hat eine Ausbildung als klassische Konzertpianistin absolviert, ihr Durchbruch gelang ihr 1954 jedoch als Jazz-Sängerin in einem Casino in Atlantic City. Sie verabscheute die Gewalt, der sie in ihrer Ehe mit Don Ross ausgesetzt war, machte aber später ihrer Tochter das Leben auf ähnliche Weise zur Hölle. Sie war eine enge Vertraute und gute Freundin von Martin Luther King, schrieb nach seinem Tod aber Protestsongs, in denen sie unverhohlen zur Gewalt aufrief  (was sie schlussendlich auch die Karriere kostete). Es gibt etliche Mitschnitte gefeierter Konzerte, aber Liz Garbus eröffnet ihren Film dennoch mit einem Auftritt in der Schweiz, bei dem Simone nach jahrelangem Exil in ihrem persönlichen Paradies Afrika zum ersten Mal wieder auf der Bühne steht – nicht weil sie es will, sondern weil sie das Geld braucht. Fans von Nina Simone könnte dieser ungewöhnliche Ansatz durchaus enttäuschen, immerhin ist der Film nun vor allem im letzten Drittel extrem karg und düster. Aber damit kommt Garbus der spät im Leben als bipolar diagnostizierten Künstlerin eben sehr viel näher, als es eine der üblichen Wie-Sand-am-Meer-Wohlfühl-Karriere-Zusammenfassungen je könnte.

    Fazit: Liz Garbus überträgt ihre Faszination und Begeisterung für Nina Simone zwar auf das Publikum, fasst ihre ambivalente Protagonistin aber trotzdem nie mit Samthandschuhen an: mutig, provokant, mitreißend!

    Dieser Film läuft im Programm der Berlinale 2015. Eine Übersicht über alle FILMSTARTS-Kritiken von den 65. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gibt es HIER.

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