Düsterer, aber auch nicht so gut wie das Original
Von Christoph PetersenSechs Jahre sind vergangen, seit „Die Eiskönigin - Völlig unverfroren“ durchaus überraschend zum erfolgreichsten Animationsfilm aller Zeiten avanciert ist. Mehr als 1,2 Milliarden Dollar hat die moderne Musical-Adaption von Hans Christian Andersens Märchen „Die Schneekönigin“ an den weltweiten Kinokassen umgesetzt. Aber der größte popkulturelle Fußabdruck, den „Die Eiskönigin“ hinterlassen hat, resultiert weder aus dem herausragenden Einspielergebnis noch hat er etwas mit dem Merchandise-Bombardement von der megacreepy Elsa-Maske* bis zur „Frozen“-Karaoke-Maschine* zu tun. Stattdessen ist es Elsas Power-Ballade „Let It Go“ (auf Deutsch: „Lass jetzt los“), die sich nun schon seit mehr als einem halben Jahrzehnt hartnäckig in den Ohrkanälen großer Teile der Weltbevölkerung eingenistet hat und dort auch einfach nicht mehr raus will.
In dem erneut von Chris Buck und Jennifer Lee inszenierten „Die Eiskönigin 2“ gibt es nun eine Szene, in der eine Eisskulptur die ersten paar Töne von „Let It Go“ anstimmt, woraufhin Elsa ihren Kopf beschämt zur Seite dreht und schnell weitereilt. Und irgendwie ist das ja auch genau die Herausforderung, vor der die Fortsetzung selbst steht: Das Publikum mit so viel Neuem zu begeistern, dass „Let It Go“ zumindest für die 105 Minuten des Films in unseren Köpfen verstummt. Aber so richtig gelingt das nur in einzelnen Szenen: Der erneut grandios animierte „Die Eiskönigin 2“ ist tatsächlich deutlich düsterer als der Vorgänger und schneidet einige erstaunlich ernsthafte Themen zumindest an, aber die Geschichte wirkt generisch und berührt nicht annähernd so sehr wie im ersten Teil.
Elsa und der Feuergeist, der sicherlich zum nächsten Superhit in den Spielzeugregalen werden wird.
Nun, da sie mit sich und ihren eisigen Kräften im Reinen ist, bekleidet Elsa (Stimme im Original: Idina Menzel) weiterhin den Thron von Arendelle. Doch dann beginnt sie auf einmal, Stimmen aus der Ferne zu hören, die sie an eine Geschichte erinnern, die ihre Eltern ihr und ihrer kleinen Schwester Anna (Kristen Bell) als Kinder erzählt haben. Diese handelt von einem verwunschenen Wald, einem magischen Fluss und einem indigenen, mit der Natur im Einklang lebenden Volk, das die Bewohner von Arendelle einst betrogen und hinterhältig angegriffen hat. Elsa spürt, dass sie die Wahrheit über die damaligen Geschehnisse erfahren muss, um ein großes Unheil für ihr Königreich abzuwenden. Gemeinsam mit Anna, dem Schneemann Olaf (Josh Gad, deutsche Stimme: Hape Kerkeling), Annas Freund Kristoff (Jonathan Groff) sowie dem Rentier Sven bricht Elsa also auf, um das dunkle Geheimnis des Waldes zu lüften...
In der ersten Szene von „Die Eiskönigin“ begleitet man eine Gruppe stämmiger, ein Arbeitslied singender Nordmänner dabei, wie sie gewaltige Eisquader aus einem zugefrorenen See heraussägen. Einen stimmungsvolleren Einstieg in ein winterliches Animations-Abenteuer kann man sich kaum vorstellen. „Die Eiskönigin 2“ beginnt hingegen direkt mit einer ausführlichen Exposition, wenn der Vater von Elsa und Anna ihnen in einer Rückblende die Gutenachtgeschichte über den verwunschenen Wald erzählt – schließlich muss in der Fortsetzung so viel Story erzählt werden, dass man damit gar nicht früh genug anfangen kann.
„Die Eiskönigin“ hat ein im Kern simples Märchen mit viel Atmosphäre und Gefühl aufgeladen. In „Die Eiskönigin 2“ bleibt hingegen kaum mal Zeit, einen besonderen Moment wirklich auszukosten. Dabei ist die Story jetzt auch nicht sonderlich originell: Die Gruppe zieht los und muss vier Elementargeister (wobei der Feuergeist offensichtlich von Disneys Merchandise-Abteilung designt wurde) bändigen, bevor sich Elsa schließlich dem großen Geheimnis ihrer magischen Fähigkeiten stellen kann. Der Plot ist zudem stellenweise ganz schön esoterisch geraten („Smart Water - The Movie“ wäre auch ein passender Titel für den Film gewesen), was das erwachsene Publikum sicherlich spalten wird, während es über die Köpfe eines jüngeren Publikums wahrscheinlich einfach hinweggeht.
Apropos jüngeres Publikum: Die Macher haben „Die Eiskönigin 2“ offensichtlich für die damals jungen Fans des ersten Teils gemacht, die nun aber eben schon ein paar Jahre älter geworden sind. Nicht nur ist die Stimmung düsterer und die Story komplexer, auch der Humor ist „erwachsener“ geworden. So ist der dank Elsas Magie inzwischen unschmelzbare Olaf nicht länger ein naiver Träumer, der sich den Sommer und damit sein wässriges Ende herbeiwünscht, sondern ein kaum minder naiver Philosoph, der nun vornehmlich mit existenzialistischen Fragen und Beobachtungen um sich wirft. Trotzdem gehen die lustigsten Szenen des Films wieder größtenteils auf das Konto des Schneemanns: Vor allem eine gruselige Musical-Nummer ist unheimlich clever – und Olafs Nacherzählung des ersten Teils ist zum Wegschmeißen komisch!
Eine der größten Animations-Herausforderungen in "Die Eiskönigin 2": Ein Pferd aus Wasser.
Ansonsten hat Kristoff noch eine Pop-Ballade, die zumindest bei allen, die in den Neunzigern mit den Backstreet Boys und Take That aufgewachsen sind, für wohlig-nostalgische Gefühle sorgen dürfte. Aber ein neuer „Let It Go“ ist definitiv nicht dabei (und irgendwie war das ja auch klar, in der Regel schlägt ein Blitz dann eben doch nicht zwei Mal in Folge ein). Was hingegen neu und auch eher unerwartet ist, und zwar nicht nur für das „Die Eiskönigin“-Franchise, sondern für Disney ganz allgemein, sind die erstaunlich komplexen und düsteren thematischen Gefilde rund um Erbschuld, historische Verantwortung und Erinnerungskultur.
Aber auch das ist ein zweischneidiges Schwert: Zum einen ist es begrüßenswert, dass sich Disney in einem Animations-Märchen überhaupt an ein solch heißes Eisen herantraut. Aber zugleich werden die zwischenzeitig unauflösbar scheinenden und deshalb so dramatischen Dilemmata am Ende mit einem solch leichten Handstreich wieder beiseite gewischt, dass es die zuvor angeschnittene Thematik leider auch ziemlich verharmlost. Wenn man es positiv sehen will, dann kann man sagen: Besser so als gar nicht! Genauso nachvollziehbar ist aber auch die negative Sicht: Wenn schon, dann aber bitte auch richtig und mit allen Konsequenzen!
Keine zwei Meinungen sollte es hingegen in Bezug auf die Animationsqualität geben, die ist nämlich auch diesmal wieder über jeden Zweifel erhaben. Wobei vor allem zwei Elemente ganz besonders herausstechen: Elsa hat diesmal ab einem gewissen Punkt ein aus Wasser bestehendes Pferd, das sie mit ihrer Magie vereisen und dann reiten kann. Ein solches Zusammenspiel aus verschiedenen Aggregatzuständen ist beim Animieren natürlich eine ganz besondere Herausforderung – aber das Pferd ist ja auch eine große Nummer, da lohnt sich die Extraarbeit also auch. Weitaus subtiler ist Elsas neues Kleid, bei dem es über dem lilafarbenen Stoff noch eine extra Lage aus einem durchscheinenden, glitzernden Gewebe gibt. Das fällt zwar kaum auf, muss aber ein unfassbarer Mehraufwand für alle Beteiligten gewesen sein. Pure Animations-Angeberei – und einfach ganz großartig!
Fazit: Kann dem Original nicht das Wasser reichen.
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