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    Die Ehe der Maria Braun
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Die Ehe der Maria Braun
    Von Ulrich Behrens

    Zerbombt, ausgebombt, tot gebombt. Der Anfang wie das Ende, und doch anders. Eine Ehe, einen halben Tag und eine ganze Nacht lang, und ansonsten unerfüllt über ein Jahrzehnt: das ist Maria Braun. Das Bild vom Führer fällt durch eine Granate. Der 1000jährige Horror fällt in Schutt und Asche und mit ihm Millionen und Abermillionen. Der Blick wird frei durch das Loch, das die Granate reißt – auf Maria und Hermann (Hanna Schygulla, Klaus Löwitsch), die sich das Ja-Wort geben, das nicht nur ein Ja-Wort ist für die romantische Liebe, die „wirkliche“ Liebe, die ewige Liebe, sondern auch ein Ja für eine Zeit nach dem Schrecken. Und doch reißt die Gewalt die beiden noch einmal auseinander. Hermann wird einberufen, Maria bleibt zurück. Und bleibt und bleibt und bleibt.

    Wie in „Lola“ (1981) und „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ (1981/82), den anderen beiden Filmen der sog. „BRD-Trilogie“, präsentiert uns Fassbinder wiederum eine Frau im Zentrum einer melodramatisch inszenierten Nachkriegsgeschichte. Zentrum ist Maria nicht nur als Hauptcharakter dieser Geschichte, sondern – wie Lola und Veronika Voss – auch als medialer Star, nicht als Schauspielerin oder Sängerin, sondern diesmal als aufstrebendes Medium der neuen Wirtschaft. Medium zudem – wie Lola und die Voss – als fast anachronistisch zu den Verhältnissen anmutende Frau, die sich, weil sie weiß, was sie will, und ebenso, wie sie es will, in der dezimierten, aber nichtsdestotrotz weiter herrschenden Männerwelt durchzusetzen versteht.

    Maria versteht es, an Traum und Wirklichkeit zugleich festzuhalten. Ihr Traum ist die ewige Liebe zu Hermann in beider Ehe, die durch den Krieg nicht zerstört werden kann. Ihre Wirklichkeit ist das „Alles“, was zu tun ist, um auf die Verwirklichung des Traums hinzuarbeiten. Als ihr Schwager Willi (Gottfried John) aus der Gefangenschaft zurückkehrt und vom Tod Hermanns berichtet, bricht für Maria nicht etwa eine Welt zusammen. Nein, sie glaubt nicht an den Tod Hermanns. Sie spürt, dass er noch leben muss. Sie freundet sich bei der Arbeit in der Bar Bronskis, in der auch ihre Schwester Betti (Elisabeth Trissenaar) arbeitet, mit dem amerikanischen Soldaten Bill (Greg Eagles) an, der sie schwängert. Aber sie wird Bill nie heiraten. Bill verschafft ihr Seidenstrümpfe und Lucky Strikes. Bill kümmert sich um sie und schläft mit ihr. Der Vertrag ist eindeutig und klar. Aber sie liebt Hermann und verheiratet ist sie mit Hermann. Das bleibt, das andere vergeht. Als Hermann eines Tages in der Tür steht, Maria und Bill vor Augen, da erschlägt sie Bill ohne Zögern – und Hermann geht für sie ins Gefängnis. Das Kind von Bill treibt sie ab.

    Wieder bleibt beider Liebe unerfüllt, und wieder entscheidet sich Maria für ihren Traum und das „Alles“. Das „Alles“ ist nun der aus der Emigration zurückgekehrte Unternehmer Karl Oswald (Ivan Desny), der mit Maria schlafen, aber sie nicht lieben darf. In seinem Betrieb macht sie als Beraterin Oswalds Karriere und kommt zu Geld und Ansehen. Als sie nach seiner Entlassung Hermann alles geben will, was sie erreicht hat, lehnt der ab und wandert nach Kanada aus und als er nach Jahren zurückkehrt, es selbst zu etwas gebracht hat, scheint der Ehe der Maria Braun nichts mehr im Weg zu stehen. Eine Gasexplosion tötet beide, während die deutsche Nationalelf Fußballweltmeister wird.

    „Die Ehe der Maria Braun“ wirkt wie eine Mixtur aus zwei Bilanzen: der historischen Bilanz der jungen Bundesrepublik Deutschland und einer ganz privaten, eigenen Bilanz der Maria Braun, die es versteht, Geist und Körper, Verstand und Gefühl als zwei Seiten ihrer persönlichen Bilanz, ihrer privaten Biografie zu trennen. Sie schläft mit Bill und Oswald, aber sie liebt beide nicht. Beide sind nicht das Ziel, das sie erreichen will, sondern nur Mittel zum Zweck. Daran lässt sie beiden gegenüber auch keinen Zweifel. Ihr Ziel bleibt die Erfüllung ihrer Ehe mit Hermann. Demgegenüber, dieser „weiblichen“ Bilanz entgegengesetzt, erweist sich die Geschichte als „Nachkriegsgeschichte“, als Restauration alter Werte durch politische Kräfte, die die Zeichen der Zeit wohl erkannt haben. Die Bilanzen kreuzen sich, treffen sich an dem Punkt dessen, was jetzt angesagt ist, was jetzt Programm, was jetzt aber nicht wirklicher Neu-Anfang ist: der Restauration alter Machtverhältnisse.

    Maria Braun ist eine Protagonistin der Ökonomie der Liebe, die die Ökonomie der Ökonomie für ihre Zwecke einzuspannen versucht: erfolgreich. Sie kommt zu Ansehen und zu Geld. Wie Hermann, wenn auch später und über den Umweg Kanada. Der Tausch scheint perfekt. Die Ökonomie der Liebe scheint sich mit der Ökonomie der Ökonomie zu vereinbaren, ja vereinbaren zu lassen. Sie schenken sich beide alles und scheinen damit eins zu werden: ein Paar, ein geradezu romantisches Paar. Die Liebe in den Zeiten der Erstarrung, die sich als Wiederaufbau tarnt, des ewig Gestrigen, das sich als Wirtschaftswunder verkleidet, und der Verdrängung, die sich nur kläglich unter dem Mantel der „formierten Gesellschaft“ (Erhard) verstecken kann, scheint nicht nur möglich, sondern geradezu bedingt durch die neuen Formen des gesellschaftlichen Verkehrs.

    Maria scheint das Alte, die Konvention, die scheinbar obsolet gewordenen Regeln geschlagen zu haben: den Buchhalter Oswalds, Senkenberg (Hark Bohm), dem sie den Erfolg in der Firma durch eigenwillige Strategien streitig macht, die eigene Familie, in deren Enge die Ehe zwischen Betti und Willi scheitert und in der die Beziehung zwischen ihrer Mutter (Gisela Uhlen) und dem Tunichtgut Hans Wetzel (Günter Lamprecht) nichts wirklich Bewegendes bewegt. Aber der Schein scheint zu trügen. In dem Moment, in dem sich der Erfolg der Ökonomie der Liebe einzustellen gedenkt, führt eine Unvorsichtigkeit zum Tod des Paares. Oder war es Absicht?

    Der Film lässt in Wahrheit offen, inwieweit Aufstieg und Fall wem zuzurechnen sind. Man könnte in den personellen Konstellationen auch wieder jene Spiegelbilder vermuten, die in Fassbinders Filmen die Identität von Personen so schwierig ermitteln lassen. Hier Maria und Hermann, dort Betti und Willi. Hier der immer wieder gefangene Hermann (Soldat, Verurteilter, Ausreisender), dort der erfolgreiche Oswald und sein „gutes Gewissen“ Senkenberg. Verdoppelte Personen. Vielfach wird der Film als Kritik Fassbinders an der Restauration des Kapitalismus in Westdeutschland gewertet. Aber Fassbinders Filme waren nie die Außenansicht eines Regisseurs „auf“ einen Zustand oder eine Entwicklung. Seine Filme beherrscht die Binnenperspektive, die Sicht aus den Verhältnissen selbst heraus. Die zentrale Frage dabei ist vor allem: Welches Kapital im Sinne von nicht nur ökonomischem Vermögen besitzen die Handelnden, um welche Ziele zu verfolgen? Bezüglich dieser Geschichte muss man davon ausgehen, dass Maria über ein enormes Vermögen verfügt, um ihr Ziel zu erreichen. Ihr Scheitern stellt keine Sperre im Gang der Dinge dar. „Deutschland ist Weltmeister.“ Trotzdem ist ihr Eigensinn als individuelles Vermögen mit oder auch gegen die Geschichte von enormer Gewalt, andererseits nicht allmächtig. Denn es scheint, dass die „Exkursion“ Hermanns nach Kanada auf einen ihr unbekannten „Vertrag“ zwischen Hermann und Oswald zurückzuführen ist – ausgehandelt, weil Oswald als todkranker Mann für den kurzen Rest seines Lebens Maria für sich allein haben wollte. Die Ökonomie der Ökonomie schlägt auch Maria ins Kreuz. Und die Vereinbarungen, die sie selbst mit Bill und dann mit Oswald getroffen hatte, erzeugt Vereinbarungen zwischen anderen, von denen sie nichts weiß oder die ihren Plänen hinderlich sind oder sein können.

    „Die Ehe der Maria Braun“ beginnt mit der Sprengung des Hitler-Bildes, endet mit den Negativen der Bilder der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland – Adenauer, Erhard, Kiesinger, Schmidt, der dann wieder als Positivabzug erscheint (Willi Brandt zeigt Fassbinder explizit nicht in dieser Reihe!!). Es wäre simpel, hier eine triviale Kontinuitätsthese zu vermuten. Die Negative deuten eher auf Abgrenzung vom vorherigen in einem Prozess, der dann wieder zur „Normalisierung“ führt (Schmidt im Positivabzug, „Modell Deutschland“), allerdings einer Entwicklung, die von Verleugnung und Verdrängung gekennzeichnet ist. Man könnte auch sagen: Die Ökonomie der Ökonomie schlägt sich ganz unpolitisch, ganz neutral, ganz ahistorisch in einem langwierigen Prozess zur „Normalisierung“ durch, zum „Wir sind wieder wer“. Die individuellen Biografien verblassen in diesem Prozess, den man auch als erneute „ursprüngliche Akkumulation des Kapitals“ bezeichnen könnte, aber weitaus mehr eine ganze Gesellschaft erfasst und kulturelle Hegemonie beansprucht. Konsequent weiter gedacht würde dann heute die neoliberale Ideologie und Praxis den Gipfel all dessen darstellen. Nur der überdurchschnittliche Eigensinn einer Frau wie Maria Braun leuchtet für kurze Zeit und vielleicht in der Erinnerung als etwas auf, das als Widerstand oder Gegenstück zu dieser Entwicklung gesehen werden könnte.

    Diese Frage nach dem Verhältnis von in den Herzen und im Kopf von Menschen geronnener Geschichte hier und ihrem Eigensinn dort sowie beider Einfluss auf Denken und Handeln ist aktueller denn je. Fassbinders BRD-Trilogie ist nicht nur insofern Teil seiner lebenslangen Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte aus einer ihm ganz eigenen Sicht, einer Binnenperspektive, die sich von der vieler linker Protagonisten, die behaupteten, „über“ den Dingen zu stehen, unterscheidet. Sie ist nicht beherrscht von einer Weltsicht oder Ideologie, sondern vom Hineinbegeben in die jeweilige Zeit und ihre Maßstäbe, und vom Erzählen einer ganz „privaten“ Geschichte.

    Dieser Film läuft im Programm der Berlinale 2016. Eine Übersicht über alle FILMSTARTS-Kritiken von den 66. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gibt es HIER.

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