Es ist schon verblüffend (und erfreulich), wie schnell das Thema Transsexualität in den vergangenen Jahren die Populärkultur erobert hat. Die Amazon-Serie „Transparent“ sahnt regelmäßig bei Preisverleihungen ab, Eddie Redmayne wurde für seine Rolle in „The Danish Girl“ für einen Oscar nominiert und Reality-TV-Star Caitlyn Jenner war nicht nur für eine Weile nationales Tagesgespräch, sondern wurde sogar von US-Präsident Barack Obama als Symbol für eine liberale, offene Gesellschaft gepriesen, in der jeder und jede leben kann, wie es ihm oder ihr passt. Da kommt Gaby Dellals „Alle Farben des Lebens“ fast schon ein wenig zu spät, denn die Diskussion ist eigentlich schon weiter. Mit einem fast vollständigen Verzicht auf Ecken und Kanten setzt das Drei-Generationen-Feelgood-Drama auf – leider arg konstruiert wirkende – Versöhnlichkeit und Harmonie.
Ray (Elle Fanning) wurde als Ramona geboren, fühlt sich jedoch schon lange als Junge. Seine Mutter Maggie (Naomi Watts) hat die Situation inzwischen zwar akzeptiert und unterstützt ihren Sohn, wo es geht. Aber nun zögert sie doch: Ray will mit einer Testosteron-Behandlung beginnen, die am Beginn des Prozesses zur Geschlechtsangleichung steht. Nicht nur Maggie muss dieser Behandlung zustimmen, sondern auch Rays Vater Craig (Tate Donovan), zu dem Maggie seit Jahren keinen Kontakt mehr hat. Inzwischen lebt sie mit ihrem Sohn im New Yorker Town-Haus ihrer Mutter Dolly (Susan Sarandon) und deren Lebensgefährtin Frances (Linda Emond)…
Ernsthafte Probleme scheint Ray weder mit seiner Sexualität noch mit der Außenwelt zu haben. Er ist in der Schule integriert, künstlerisch begabt und für seine 16 Jahre erstaunlich reif. Der eigentliche Konflikt des Films besteht also darin, dass Maggie die Entscheidung ihres Sohnes akzeptieren und ihn bei seinem Weg unterstützen muss, während sie versucht, mit ihren eigenen Lebensentscheidungen klarzukommen. Denn auch sie lebte einst eine Beziehung, die nicht das ist, was im Allgemeinen als „normal“ bezeichnet wird. Ganz selbstverständlich zeigt Dellal die unterschiedlichsten Lebens- und Liebesentwürfe, was ihren Film auf angenehm beiläufige Weise zu einem Plädoyer für Toleranz gegenüber allen Arten von Beziehungsmustern macht.
Allerdings verhindert gerade diese Selbstverständlichkeit, mit der hier alle Arten zu Denken und zu Leben akzeptiert werden, dass tatsächlich Spannung aufkommt. Stattdessen lösen sich die Konflikte immer wieder in Windeseile in Wohlgefallen auf. Die heile Welt, die Dellal hier entwirft, ist eine, wie wir sie nur allzu gut vielen US-Independent-Filmen kennen: Im Zentrum stehen liberale Gutverdiener, die in künstlerischen Berufen arbeiten und alle ein wenig quirky oder nerdig sind. Es ist gut beobachtet, wenn Ray nicht auf die Schultoilette geht, sondern in den chinesischen Imbiss gegenüber. Denn dort gibt es nur eine Kabine und die ist somit automatisch Unisex. Allerdings ist das auch schon Rays größtes Problem im Film.
Die offensichtlichste Qualität von „Alle Farben des Lebens“ ist fraglos der drei Generationen umspannende Cast: Elle Fanning („The Neon Demon“) und Naomie Watts („Gefühlt Mitte Zwanzig“) steuern eher die dramatischen Momente bei, während Susan Sarandon („Mit besten Absichten“) und Linda Emond („Oldboy“) als lesbisches Großelternpaar immer wieder für auflockernde Komik sorgen. Aber auch hier zeigt sich eines der Grundprobleme des Films: Bei dem Versuch, dem wichtigen Thema zugleich komödiantisch und ernsthaft zu begegnen, findet Dellal letztlich einfach keinen überzeugenden Mittelweg. Leider.
Fazit: Gut gemeint, aber wenig packend – nur das herausragende Hauptdarstellerinnen-Ensemble ist ohne Einschränkung lobenswert.
Wir haben „Alle Farben des Lebens“ im Rahmen des Filmfest Hamburg gesehen.