„L’Chaim!“ - einen besseren Titel hätte sich der Kölner Dokumentarfilmer Elkan Spiller für sein Langfilmdebüt nicht aussuchen können. „L’Chaim!“ ist ein gängiger Trinkspruch im Hebräischen und bedeutet „Auf das Leben!“ (daher der Untertitel). Chaim ist aber auch der Vorname von Spillers Protagonisten und Cousin Chaim Lubelski. Der 1947 geborene Alt-Hippie stand bereits 2008 gemeinsam mit seiner Mutter Nechuma für den fünfminütigen Kurzfilm „Mama, L’Chaim“ vor der Kamera des Vetters. Nun wagt sich der Regisseur Spiller mit neu gedrehten Interviews, Alltagsszenen und reicherem Bildmaterial aus der bewegten Familiengeschichte an eine Langfassung der Mutter-Sohn-Geschichte. „L’Chaim! – Auf das Leben!“ ist unverkennbar ein Herzensprojekt, das nach der Absage mehrerer Fernsehsender nur durch eine Crowdfunding-Kampagne möglich wurde. Doch so amüsant und eigenwillig die Hauptfiguren und so schillernd ihre Lebensgeschichten sind, so wenig überzeugt die schwache Dramaturgie des Films. Spiller gibt ihm kaum eine erzählerische Struktur und immer wieder kommt es zu redundanten Momenten.
Es ist zunächst eine reine Freude, dem Gespann Chaim und Nechuma Lubelski dabei zuzuschauen, wie es sich mit trockenem Humor und kleinen Sticheleien lauthals lachend am Leben erfreut. Doch hinter der Fassade, die der fröhliche Hippie im Schlabberlook und seine ständig lächelnde Mutter mit den rotgefärbten Haaren errichtet haben, steckt eine jüdische Familientragödie. Der Verlust des Vaters, der an den Spätfolgen seiner Zeit im Konzentrationslager starb, und der Unfalltod der Schwester durch eine Überdosis Medikamente haben den rastlosen Lebemann Chaim tief geprägt. Er blickt zwar auf eine bewegte Vergangenheit zurück – unter anderem war er ein langhaariger Weltenbummler und ein vielversprechender Schachmeister, ein erfolgreicher Jeans-Händler und ein erfolgloser Börsenspekulant. Aber jetzt kämpft er mit Depressionen, wie sie viele Nachfahren von Holocaust-Überlebenden heimsuchen, zu denen auch Spiller selbst gehört. Das Thema ist stark und wichtig, aber das Psychogramm der Protagonisten fällt weniger prägnant und erhellend aus als es ein Regisseur mit etwas größerer Distanz und mehr Erfahrung als Filmemacher vielleicht hinbekommen hätte. So hinkt die Form dem Inhalt gleichsam hinterher, Chaims und Nechumas Empfindungen werden nur selten in entsprechend ausdrucksstarke Bilder gebettet, zu oft rücken Nebensächlichkeiten in den Vordergrund.
Fazit: Ein spannendes Thema und schillernde, von der Geschichte gezeichnete Figuren machen „L’Chaim!“ trotz formaler und erzählerischer Schwächen sehenswert.