Der Kölner Architekt Gottfried Böhm gehört zu den ganz Großen seiner Zunft. Als erster und bisher einziger Deutscher hat er 1986 den Pritzker-Preis erhalten, der als der Nobelpreis für Architektur gilt. Hiermit wurde der einmaligen Individualität und Ausdruckstärke seines Wallfahrtsdoms in Velbert-Neviges Tribut gezollt. Während der Großteil von Böhms Kollegen im Fahrwasser des Bauhaus-Stils auf eine schlichte, rationale Architektur setzt, ist diese 1968 entworfene Kirche ein Paradebeispiel für Böhms expressive „Betonfels“-Architektur. Der bald 95-Jährige ist 2015 nach wie vor hochaktiv und mit seinen Söhnen Stephan, Peter und Paul hat er gleich drei Nachfolger, die alle mit eigenen Architekturbüros Bauten von internationalem Rang erschaffen. Die 2012 verstorbene Ehefrau und Mutter Elisabeth war ebenfalls Architektin. Bis heute haben alle Böhms ihre Büros unter demselben Dach. Doch wie funktioniert solch ein kompliziertes Nebeneinander von gegenseitiger Unterstützung und Konkurrenz? Dieser Frage widmet sich Regisseur Maurizius Staerkle-Drux in seiner aufschlussreichen Dokumentation „Die Böhms – Architektur einer Familie“.
Bereits Gottfried Böhms Vater Dominikus war ein Architekt eigenständiger und ungewöhnlicher Bauten und brachte seinem Sohn früh das Handwerk des Baumeisters bei. Im Zweiten Weltkrieg war Gottfried Böhm bei den Gebirgsjägern, nach Kriegsende erblickte er ein zerstörtes Köln, das selbst einem Gebirge aus Trümmergebäuden glich. Dieses Erlebnis prägte sein Wirken, seine eigene Architektur ist oft von einer einmaligen Expressivität gekennzeichnet. Anders als die zweckdienlichen Kuben des Bauhaus-Stils, erscheinen seine besten Werke wie roh übereinander geschichtete Bergmassive. Böhm als religiöser Mensch sagt: „Es ist schön, angesichts des Todes noch einen Bezug zu einem Raum zu haben, der viel höher und weiter ist“. So fand er dann auch insbesondere in der Planung von Kirchen eine dankbare Aufgabe. Immer an seiner Seite war dabei seine Frau Elisabeth, die er bereits während des Studiums kennenlernte. Um die Arbeit ihres Manns zu unterstützen, verzichtete Elisabeth später zu großen Teilen auf eine eigene Karriere und kümmerte sich um die drei Söhne. Sie führen die Familientradition fort, Kontinuität und Wandel zeigen sich beispielhaft etwa in Paul Böhms Entwurf der Zentralmoschee in Köln, einem gewaltigen, skulpturalen Gotteshaus.
Der Regisseur Maurizius Staerkle-Drux stellt jedoch nicht die zahlreichen aufsehenserregenden Gebäude der Böhms, sondern die Familie selbst in den Mittelpunkt seiner sehr sehenswerten Dokumentation. „Die Böhms – Architektur einer Familie“ wird seinem Titel durchaus gerecht, denn der Filmemacher legt das innere Wesen dieses komplexen zwischenmenschlichen Gefüges offen. Staerkle-Drux konzentriert sich auf das Miteinander (und manchmal auch Gegeneinander) des Zusammenlebens und Zusammenarbeitens. Er sieht genau hin und spricht nicht nur mit den Familienmitgliedern, sondern beispielsweis auch mit dem alten Gärtner der Böhms. Der ist bereits seit über 50 Jahren bei der Familie beschäftigt. Er sagt: „Die große Trauerweide ist der ganze Stolz vom Boss. Die hat ihm bei vielen seiner Arbeiten als Inspirationsquelle gedient.“ Der alte Mann wird es wissen, war er doch zunächst nicht als Gärtner, sondern als Architekt bei seinem berühmten Arbeitgeber angestellt.
Bei den Interviews ist die Kamera von Raphael Beinder („Scherbengericht“) ganz ruhig auf die Protagonisten gerichtet. Er scheint jede einzelne Furche in diesen Gesichtern erforschen zu wollen. In den Gesprächen bekommt man den Eindruck, diese Menschen wirklich tiefer kennenzulernen. So spricht Gottfried Böhm davon, dass es eine Periode in seinem Leben gab, in der er bereits dachte, dass er Konkurs anmelden muss. 20 Wettbewerbe hatte er hintereinander verloren, ehe es endlich wieder bergauf ging. Über die Kriegszeit äußert er sich hingegen lieber gar nicht. Zu gerne wüssten seine Söhne, was damals genau passiert ist. Hier deuten sich vor der Kamera die Sprachlosigkeiten und die Tabus innerhalb der Familie an. Und als im Verlauf der Filmarbeiten Elisabeth stirbt, wird für alle sichtbar, dass die Böhms mit ihr ihre große Stütze verlieren. Der älteste Sohn Stephan stellt fest, dass ihm erst jetzt bewusst werde, wie sehr er von seiner Mutter geprägt ist, ja dass diese für seine Entwicklung wahrscheinlich die wichtigste Person gewesen sei.
Jetzt kämpft Stephan mit den Baubedingungen bei seinen ersten großen Projekten in China. Inmitten eines Rohbaus seufzt er, dass er bedauere, auf vieles erst so spät gekommen zu sein. Vater Gottfried beruhigt ihn, während Stephans jüngere Brüder Peter und Paul davon berichten, wie sie lernen mussten, sich gegenüber dem dominanten Vater bei ihrer Arbeit abzugrenzen, um eine eigene gestalterische Identität zu finden. Auch Stephan meint: „Eigentlich wollte mein Vater, dass ich in seinem Sinne weitermache.“ Bereits als Kinder hat Gottfried die Söhne im Garten kleine Häuschen inklusive richtiger Fundamente bauen lassen. „Eigentlich ist es fast immer noch so, als würden wir drei nebeneinander im Sandkasten spielen und der Vater schaut uns dabei zu“, sagt der älteste Sohn nun und für eben diese Dynamik von kreativer Konkurrenz und familiärem Miteinander ist „Die Böhms“ ein beredtes Zeugnis.
Fazit: Regisseur Maurizius Staerkle-Drux legt mit „Die Böhms – Architektur einer Familie“ auf feinfühlige Weise die innere Struktur der titelgebenden Architektendynastie frei.