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    Winnetous Sohn
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Winnetous Sohn
    Von Andreas Günther

    Mein Winnetou? Dein Winnetou? Besitzdenken ist hier fehl am Platze: Der Apachen-Häuptling Winnetou gehört schon lange nicht mehr seinem Schöpfer Karl May, sondern ist für alle da. Deshalb darf es in dem wunderbaren gleichnamigen Kinderfilm von André Erkau („Das Leben ist nichts für Feiglinge“), zu dem Thomas Brinx und Anja Kömmerling ein bezauberndes Drehbuch geschrieben haben, auch  Winnetous Sohn geben. Genau diesen will ein indianervernarrter Junge in einer Freilichttheateraufführung unbedingt verkörpern, nachdem auf seinen Einspruch aus den Zuschauerrängen hin Winnetou einmal nicht sterben musste. Die Filmemacher brechen gleichermaßen eine Lanze für die Wonnen wie für die persönlichkeitsbildende Kraft der Phantasie und erinnern nebenbei daran, dass die Erwachsenen eine große Verantwortung für die Erhaltung einer lebendigen Imagination tragen.

    Mutter Birte (Alice Dwyer) fliegt übers Wochenende nach London, aber Sohn Max (Lorenzo Germeno) ist darüber nicht besonders traurig – kann er die Zeit doch im Indianercamp von Evi (Katharina M. Schubert) vor den Toren der Stadt verbringen. Unter den Kindern, die dort in Wigwams nächtigen, reiten und mit Pfeil und Bogen schießen, hat er den Rang eines Häuptlings inne, weil er mit Herz und Hirn Indianer ist. Außerdem kommt sein Vater Thorsten (Christoph Letkowski) vorbei, ein erfolgloser Musiker, der von Mama getrennt lebt. Schließlich freundet sich Max mit dem mürrischen Morten (Tristan Göbel) an und sie werden Blutsbrüder. Dann winkt dem jungen Indianernarren plötzlich die große Chance: Nachdem der bisherige Darsteller von Winnetous Sohn einen Reitunfall hatte, sucht der Regisseur (Uwe Ochenseknecht) des Freilichttheaters im nahen Wolfitz nach einem Ersatz. Mit Mortens und Thorstens Hilfe will Max das Casting unbedingt für sich entscheiden. Nur vermag das Pummelchen nicht auf ein Pferd zu springen – noch nicht.

    „Winnetous Sohn“ ist pathetisch, ironisch und realistisch zugleich, scheinbar Widersprüchliches findet sich hier auf ungezwungene Weise vereint. Da sind dann in einer einzigen Einstellung im Vordergrund Wigwams und ein prasselndes Lagerfeuer vor Gattern auf einer Wiese zu sehen, während im Mittelgrund die S-Bahn vorbeisaust und sich im Hintergrund munter Windräder im Licht der allmählich schwächer werdenden Abendsonne drehen. Solche Impressionen werden mit augenzwinkernder Selbstverständlichkeit präsentiert, der postmoderne Befund, dass die Wirklichkeit aus zahlreichen Parallelwelten besteht, wird kurzerhand in ein Abenteuer verwandelt, das fürs Leben übt. Der Indianer-Mythos wie ihn Karl May in seinen „Winnetou“-Romanen geformt hat mag bei der heutigen Jugend nicht mehr so populär sein wie früher, aber die Filmemacher machen den zeitlosen Kern seiner Ideen von Edelmut und Freundschaft deutlich. So bietet „Winnetous Sohn“ ganz unaufdringlich und nebenbei Beispiele schöner, für Groß und Klein erstrebenswerter Tugenden.

    Vor allem führen André Erkau und seine Mitstreiter vor, wie das kindliche Eintauchen ins Fabelreich zur konstruktiven Bewältigung widriger Realitäten beiträgt. Deren Gesetze werden zwar charmant verbogen, um eine spannende Geschichte zu erzählen, aber sie werden nicht beschönigt: Das frustrierte Futtern von Schokoriegeln als Reaktion auf elterliche Vernachlässigung wird mit ebenso scheinbarer Beiläufigkeit thematisiert wie die quälenden Sehnsüchte, die Unvernunft und die Verantwortungslosigkeit der Erwachsenen. Das feinfühlige und differenzierte Lob der Phantasie überwiegt dann auch kleinere dramaturgische Schwächen im leicht überfrachteten Schlussdrittel des Films. Außerdem wird man zusätzlich mit einer lustigen Verfolgungsjagd inklusive ‚Sheriff‘ (Armin Rohde) entschädigt, ehe Max zwischen Stolpern und Springen an sein Ziel gelangt.

    Fazit: „Winnetous Sohn“ möchte man adoptieren oder zum Blutsbruder haben: Indianerromantik und Westernphantasie sorgen für beste und auf unaufdringliche Art lehrreiche Familienunterhaltung.

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