Netflix' Antwort auf "Braveheart"
Von Markus FiedlerNachdem es den schottischen Regisseur David Mackenzie 2016 mit dem vierfach oscarnominierten Bankraub-Thriller „Hell Or High Water“ sehr erfolgreich in den Süden der USA verschlagen hat, kehrt er mit seinem neuen Film wieder in seine Heimat zurück. Und zugleich knüpft er sich dabei auch noch seinen ersten historischen Stoff vor: „Outlaw King“, den Mackenzie nicht nur inszeniert, sondern auch mitproduziert und mitgeschrieben hat, stellt einen Zeitgenossen des „Braveheart“-Helden William Wallace ins Zentrum. Robert The Bruce führte nach Wallaces Tod die Schotten in einem über Jahrzehnte hinweg andauernden Krieg in die Freiheit und gilt seitdem wie Wallace als schottischer Volksheld. Mit seinem „Hell Or High Water“-Star Chris Pine in der Titelrolle gelingt Mackenzie zwar kein zweiter „Braveheart“, aber nichtsdestotrotz ein spannender, blutiger und visuell eindrucksvoller Film, der sich deutlich enger an die tatsächlichen Ereignisse hält als damals Mel Gibson in seinem oscargekrönten Schlachten-Meisterwerk.
Robert The Bruce (Chris Pine) muss mitansehen, wie sich sein Vater Robert de Brus (James Cosmo) und andere schottische Adlige dem englischen König Edward (Stephen Dillane) unterwerfen, um das Land nicht völlig durch Kriege ausbluten zu lassen. Und nicht nur das: Sein Vater hat mit einem englischen Adelshaus auch noch eine friedensstiftende Ehe für Robert arrangiert, weshalb er nun die junge Engländerin Elizabeth (Florence Pugh) zur Frau nehmen soll. Während sich die Zwangsehe als überraschend glücklich erweist, ist der Frieden mit England weiter vergiftet. Als der englische König den schottischen Widerstandskämpfer William Wallace nicht nur gefangen nimmt, sondern ihn auch foltern hinrichten und Teile seines Körpers als Warnung öffentlich zur Schau stellen lässt, ist das Maß endgültig voll. Die Volksseele kocht über! Robert muss handeln und lässt sich zum König krönen. Er versammelt Schottlands Adlige hinter sich, um das Land endgültig von den Besatzern zu befreien. Doch die dafür nötigen Opfer sind groß…
Wenn sich zwei Filme mit zwei historischen Figuren beschäftigen, die fast zur selben Zeit am selben Ort gelebt und dieselben Ziele verfolgt haben, dann drängt sich ein Vergleich natürlich geradezu auf. Aber gegen Mel Gibsons episches Meisterwerk „Braveheart“ (neben fünf Oscars gab es auch noch fünf Sterne) kann „Outlaw King“ trotz sichtbar üppigem Budget und starken Darstellern – wenig überraschend – nicht bestehen. Trotzdem schlägt sich David Mackenzie („Mauern der Gewalt“, „Perfect Sense“) achtbar gegen den übermächtigen Vorgänger. So teilt die Netflix-Produktion einige seiner größten Stärken mit „Braveheart“: Neben der authentischen Ausstattung sind das vor allem die extrem blutigen Schlachten mit Schwertern und Äxten, bei denen Mackenzie ebenso wenig wie einst Gibson vor heftigen Szenen zurückschreckt. Das Mittelalter bleibt auch im Streaming-Zeitalter dreckig und brutal.
Ein Sonderlob - nicht nur für die Schlachtszenen - gebührt dabei Mackenzies Kameramann Barry Ackroyd (oscarnominiert für „The Hurt Locker“). Der eröffnet den Film nämlich nicht nur mit einer großartigen, minutenlangen Plansequenz, bei der sich die Kamera wie ein interessierter Zuschauer durch die Menschenmenge drängelt, Schaukämpfe beobachtet und Könige verfolgt. Auch im Detail beweist er immer wieder sein Können. So bleibt vor allem eine Sequenz, in der Robert und seine letzten Getreuen nach einem furchtbaren Kampf an Boote geklammert entkommen, lange im Gedächtnis, weil Ackroyd sie fast wie ein Gemälde erscheinen lässt. Rein visuell kann „Outlaw King“ über weite Strecken tatsächlich mit dem (über-)großen „Braveheart“ mithalten.
Problematischer ist da schon die Dramaturgie. Dass Mackenzie hier stärker als bei „Braveheart“ historische Korrektheit in den Fokus stellt und die Abläufe der Ereignisse möglichst so zeigt, wie sie wohl tatsächlich stattgefunden haben, wird zumindest Historiker freuen. Den Sog, den Gibson in seinem Film auch dadurch erreichte, dass er die Geschichte bewusst änderte, um noch mehr Spannung und Tragik aus ihr herauszukitzeln, entwickelt „Outlaw King“ aber nur selten. Tatsächlich wirken auch die Actionsequenzen trotz starker Bilder nicht ganz so packend wie in „Braveheart“, weil die Angst um die liebgewonnenen Figuren eben nie ganz so groß ist. Allerdings nimmt sich Mackenzie mit knapp zwei Stunden (er hat den Film nach seiner Festivalpremiere noch einmal um 20 Minuten gekürzt, um ihn stringenter zu machen) auch lange nicht so viel Zeit wie Gibson, der für sein Helden-Epos eine ganze Stunde mehr brauchte. Und Zuschauer, denen „Braveheart“ schlicht zu pathetisch war, können sich mit dem spröderen und ruhiger erzählten „Outlaw King“ womöglich sogar viel eher anfreunden.
Besonders deutlich wird dieser unterschiedliche Ansatz von „Outlaw King“ und „Braveheart“ bei den Reden der Helden an ihre Männer vor der alles entscheidenden Schlacht. Während Wallace in seiner vor Pathos nur so triefenden Ansprache den Kampf um die Freiheit heraufbeschwört, ist Robert der Grund, warum seine Soldaten für ihn kämpfen, so ziemlich egal – solange sie es nur erfolgreich tun.
Fazit: Auch wenn er gegen Mel Gibsons „Braveheart“ im direkten Vergleich den Kürzeren zieht, gelingt David Mackenzie mit „Outlaw King“ ein gelungenes, optisch sogar sehr gelungenes Epos über den Freiheitskampf der Schotten im frühen 14. Jahrhundert, der zugunsten der historischen Genauigkeit lieber auf die ein oder andere potentielle Spannungsspitze verzichtet.