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    Wrong Elements
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Wrong Elements
    Von Michael Meyns

    Berühmt wurde der französisch-amerikanische Schriftsteller Jonathan Littell mit dem Roman „Die Wohlgesinnten“, in dem er das Leben eines fiktiven schwulen SS-Offiziers im Zweiten Weltkrieg schilderte. Auf den ersten Blick mag es überraschen, dass Littell nun das Medium gewechselt und mit „Wrong Elements“ eine Dokumentation über ehemalige Kindersoldaten in Uganda gedreht hat, die beim Festival in Cannes 2016 außer Konkurrenz lief. Was beide Werke jedoch verbindet, was beide so spannend und besonders macht, ist der Blick auf Menschen, die meist schnell in eine Schublade gesteckt werden, deren Wesen jedoch viel ambivalenter ist als es zunächst scheint. Viel Zeit verbringt Littell in „Wrong Elements“ mit seinen drei Protagonisten, die in jungen Jahren von Joseph Konys berüchtigter Lord's Resistance Army (LRA) entführt, missbraucht und vergewaltigt wurden – ehe man sie zu Tätern machte und in Kindersoldaten verwandelte. Was und vor allem wie diese drei inzwischen erwachsenen Menschen über ihr Opfer- und Tätersein erzählen, ist erschreckend banal, aber gerade dadurch faszinierend.

    Nur ganz selten hört man aus dem Off Littells Fragen, meist sind nur Geoffrey, Mike und als  einzige Frau Nighty zu sehen und zu hören, die jeweils mit elf oder zwölf Jahren von der LRA verschleppt wurden. Jahrelang nahmen sie am Bürgerkrieg im Norden Ugandas teil, konnten schließlich entkommen und wurden dank einer Amnestie-Regelung wieder in das normale Leben integriert. Das scheint durchaus gelungen zu sein: Geoffrey und Mike verdienen als Motorradtaxifahrer ihr Geld, Vorwürfe von Mitmenschen bleiben aus, doch wie schwer die Vergangenheit und die erlittenen Traumata weiterhin wiegen, kann man immer wieder ahnen. Aber mehr als Ahnungen lässt das Trio auch nicht zu, vielmehr berichtet es meist erstaunlich entspannt über seine Erlebnisse und oft blickt es mit geradezu wehmütiger Erinnerung an die Zeit als Kindersoldaten zurück.

    Was für den Außenstehenden zunächst überaus verstörend wirkt, ergibt bei genauerer Betrachtung durchaus Sinn: Für die Protagonisten war die LRA auch so etwas wie eine Ersatzfamilie, in der jungen Menschen mehr Verantwortung und Macht gegeben wurde als es Jugendliche unter normalen Umständen erleben. Macht und Ohnmacht, Täter- und Opferrolle – in der Welt der drei Porträtierten fügen sich extreme Gegensätze zu einer eigenen zutiefst ambivalenten Wirklichkeit. Genau diese Widersprüchlichkeit und Vieldeutigkeit interessiert den zurückhaltend beobachtenden Filmemacher Littell besonders und er lässt sie immer wieder als solche hervortreten. Dabei enthält er sich jeden Urteils über das Verhalten des Trios: Wenn sie da etwa im Fernsehen Berichte über die Verhaftung ihres ehemaligen Kommandanten Dominic Ongwen sehen, der in Den Haag vor Gericht steht, und sie mit dem Handy Fotos von ihm machen und ihre Sympathie ausdrücken, dann bekommt man ein Gefühl für die Tiefe der Verbindung zwischen Kindersoldaten und ihren Entführern. Diese erschreckenden, aber auch menschlichen Szenen erzählen von tiefen Verletzungen und ebenso tiefen Sehnsüchten.

    Fazit: In seinem eindrucksvollen Filmdebüt richtet der Schriftsteller Jonathan Littell seinen dokumentarischen Blick auf ehemalige Kindersoldaten, die auf höchst ambivalente Weise von ihrem Leid und ihren Taten berichten.

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