Sterbehilfe ist ein sensibles Thema und die Diskussionen darüber sind nicht nur mit starken Emotionen, sondern meist auch mit unvereinbaren gegensätzlichen Überzeugungen verbunden. Wenn jemand dann in einem Buch oder in einem Film von einer Person mit Todeswunsch erzählt, die sich nicht alleine das Leben nehmen kann oder will, dann hängt das Urteil über das betreffende Werk oft sehr stark mit der darin tatsächlich oder vermeintlich zu erkennenden Haltung zum assistierten Suizid zusammen. Genauso war das auch bei Jojo Moyes‘ Bestsellerroman „Ein ganzes halbes Jahr“ - und noch stärker bei der gleichnamigen Verfilmung durch Regisseurin Thea Sharrock, wie wir bereits berichtet haben. Doch das hübsch fotografierte Romantikdrama taugt – im Gegensatz zum Buch – kaum als Grundlage für eine ernsthafte Diskussion über die an die Sterbehilfe geknüpften moralischen Fragen, dafür ist die Erzählung von dem fröhlichen Mädchen und dem lebensmüden Griesgram im Rollstuhl schlicht zu oberflächlich. Und wenn man diesen thematischen Ballast einmal beiseite nimmt, dann bleibt hier nicht mehr als die arg formelhafte und klischeehaft inszenierte Geschichte einer Liebe, die auf scheinbar unüberwindliche Widerstände stößt.
Nachdem das kleine Café in ihrem verschlafenen englischen Heimatstädtchen, wo sie als Kellnerin gearbeitet hat, schließen musste, ist Louisa (Emilia Clarke) froh, als ihr ein akzeptabler neuer Job im Ort angeboten wird. Camilla (Janet McTeer) und Stephen Traynor (Charles Dance) engagieren sie als eine Art Gesellschafterin für ihren nach einem Motorradunfall querschnittsgelähmten Sohn Will (Sam Claflin). Der junge Mann, der vor seiner Verletzung ein sportlich aktives und erfolgreiches Leben geführt hat, hasst sein Dasein im Rollstuhl und behandelt die neue Hilfe zunächst überaus abweisend. Dann erfährt Lou zufällig, warum sie wirklich angestellt wurde: Nach einem Selbstmordversuch hat Will seinen Eltern versprochen, dass er ihnen sechs Monate Zeit gibt, wenn sie ihn danach in die Schweiz begleiten und ihm beim Sterben helfen. Camilla und Stephen hoffen, dass die fröhliche Louisa ihren lebensmüden Sohn von seinem Plan abbringen kann…
Autorin Jojo Moyes hat ihren Roman persönlich bearbeitet und das Drehbuch verfasst. Umso erstaunlicher ist es, wie sehr sich Vorlage und Film streckenweise im Tonfall unterscheiden. So erscheint die allmähliche Annäherung zwischen Lou und Will auf der Leinwand als bloße Bebilderung der Konventionen der romantischen Komödie: Die beiden so unterschiedlichen Figuren treffen aufeinander, stellen irgendwann fest, dass sie sich interessant finden und lernen sich schließlich besser kennen. Es beginnt mit flapsigen Bemerkungen über Lous ungewöhnlichen Kleidungsstil und einigen Sticheleien über Wills wild sprießenden Bart, später eröffnet der kultivierte Reiche der Arbeitertochter die Welt der ausländischen Filme mit Untertiteln und der klassischen Musik, bis bei Mozarts Oboenkonzert Tränen der Überwältigung fließen. Das ist schön bebildert und Sam Claflin (der Finnick aus der „Die Tribute von Panem“-Reihe) gibt einen angenehmen Pygmalion ab, doch Wills leise Freude über Lous Begeisterung wirkt trotzdem im doppelten Sinne gespielt, denn erstens fehlt Claflin die adäquate Partnerin und zweitens beißt sich das komödienhafte Techtelmechtel schließlich doch mit dem ernsten Hintergrund der Geschichte.
Die „Game Of Thrones“-Drachenlady Emilia Clarke ist bisher eher für starke Frauenfiguren bekannt und überzeugt hier am ehesten, wenn sie am Ende etwas trotzig die Initiative ergreift. Doch davon abgesehen wirkt sie in Lous flippigen Klamotten stets wie verkleidet und deren offene unkomplizierte Art versucht sie mit allerlei Gesichts- und Augenaktivität auszudrücken – diese sichtbare Anstrengung ist von natürlichem „Pretty Woman“-Charme Lichtjahre entfernt. Die Liebesgeschichte an sich ließe sich gerade noch als Attraktion der Gegensätze verbuchen, aber wenn es um die körperliche Behinderung geht, dann steht die hochdramatische Prämisse mit dem Todeswunsch Wills in einem nur theoretisch nachvollziehbaren Verhältnis zu seinem Leiden. Die zermürbenden Alltagsroutinen, die plötzlichen Krankheiten, die ständigen Schmerzen – was im Buch seitenweise geschildert wird, kommt nämlich anders als etwa in „Ziemlich beste Freunde“ hier meist nur im behauptenden Nebensatz vor. Will darf noch nicht mal krank aussehen – selbst der angeblich verwahrloste Bart steht ihm ausgezeichnet. So bleibt das konflikt- und tränenreiche Schlussdrittel in gewittergepeitschter, sternenbeschienener und augenaufschlagender Bilderbuchromantik stecken. Den angestrebten Kloß im Hals des Publikums hat sich höchstens die Buchautorin verdient.
Fazit: Die Filmemacher beschwören die ganz großen Gefühle, doch meist bleiben sie in einsilbigen Klischees stecken.