Wut ist eine sehr starke Emotion und Filme können wütend machen wie kaum ein anderes Medium. Das stellt die russisch-deutsche Co-Produktion „Lenas Klasse“ einmal mehr unter Beweis: Der Titelheldin Lena wird vom russischen Schulsystem, aber letztlich auch von ihren eigenen Klassenkameraden so übel mitgespielt, dass man als Zuschauer fuchsteufelswild wird. Iwan I. Twerdowskijs engagiertes Sozialdrama ist politisch provokant und regt zur Diskussion über kleine und große Ungerechtigkeiten an, aber die filmische Umsetzung des durchaus brisanten Stoffes überzeugt nicht durchgehend.
Nach langjährigem Heimunterricht wird die an Myopathie leidende Lena (Mascha Poeshaewa) endlich im Rollstuhl von ihrer Mutter (Natalja Pawlenkowa) zur Schule geschoben. Dort besucht sie eine „Sonderklasse“, die aus einem Dutzend körperlich oder geistig beeinträchtigter Schüler und Schülerinnen besteht. Von Anfang an spürt Lena die Feindseligkeit der Schuldirektorin (Natalja Domeretskaja), während ihre Mitschüler sie sogleich als eine der ihren akzeptieren und auch außerhalb des Unterrichts integrieren – selbst bei den nicht ungefährlichen Mutproben an der Eisenbahnstrecke. Lena erlebt sogar ihre erste, durchaus romantische Liebe mit dem anfallgefährdeten Anton (Philipp Awdejew), doch durch Eifersucht, Verbohrtheit und andere menschliche Schwächen reicht es nicht für ein Happy End.
Der fast intime Handkamerastil des Films scheint von den belgischen Dardenne-Brüdern („Rosetta“) inspiriert zu sein, aber hier geht es oft allzu bewegt und hektisch zu: Statt eines Eindrucks von dokumentarischer Wahrhaftigkeit stellen sich zuweilen Desorientierung und Schwindelgefühle ein. Die zu großen Teilen mit Laiendarstellern und improvisierten Dialogen (trotz Romanvorlage!) umgesetzte Spielhandlung entwickelt dagegen zunächst eine starke Sogwirkung, die sich im späteren Verlauf des Films allerdings wieder verliert, weil die Motivationen der Figuren allzu vage bleiben. Der Leidensweg Lenas (die sympathische Darstellerin könnte fast als eine junge Katie Holmes durchgehen) wird zum Martyrium, und statt einer klaren politischen Aussage gegen das rückständige System werden zum Schluss Lenas Mitschüler ihre ärgsten Widersacher, wodurch man als Zuschauer in die wehrlose Rolle eines Mitleidenden gezwungen wird. Und das macht aus „Lenas Klasse“ letztlich ein sehr kraftvolles, aber auch immens frustrierendes Filmerlebnis.
Fazit: Das Leben als Behinderte(r) in Russland wird in diesem Drama als reine Hölle präsentiert, aber der seltsamen Mischung einer jungen Romeo-und-Julia-Liebe mit einer oft ziellos wirkenden Agitation fehlt die erzählerische Geschlossenheit, was auch ihre politische Sprengkraft mindert.