Die deutsche Filmemacherin Monika Treut ist bekannt als eine Vorreiterin des New Queer Cinema. Ihre frühen Spiel- und Dokumentarfilme tragen abenteuerlich erscheinende Titel wie „Verführung: Die grausame Frau“, „Die Jungfrauenmaschine“ und „Gendernauts“, in ihnen erforscht sie ungewöhnliche sexuelle Praktiken und hinterfragt Geschlechterrollen. In ihren neueren Filmen widmet sich Treut dann verstärkt der Betrachtung fremder Kulturen. Für „Kriegerin des Lichts“ reiste sie nach Brasilien, für „Ghosted“ nach Taiwan. Allen ihren Filmen gemein ist eine sichtbare Lust, sich neue Welten zu erschließen. Die einzigen Konstanten sind der ständige Wandel und Treuts Vorliebe für starke Frauen. Jetzt wirft die Filmemacherin mit ihrem Spielfilm „Von Mädchen und Pferden“ erstmals einen Blick zurück. In ihrer Jugend waren ihre Liebe zu Pferden und die Gemeinschaft mit gleichgesinnten Mädchen eine wichtige emotionale Stütze bei der Entwicklung einer eigenständigen Persönlichkeit. Genau diese Themen behandelt sie nun in ihrem ungewöhnlichen Pferdefilm und Teenager-Drama auf ebenso subtile wie überzeugende Weise.
Die 16-jährige Alex (Ceci Chuh) ist ein Problemkind. Nachdem sie die Schule abgebrochen hat, wird sie von ihrer Adoptivmutter zu einem Praktikum auf einem Reiterhof nahe der dänischen Grenze verdonnert. Alex zeigt sich zunächst wenig begeistert: Der Hof liegt mitten im Nirgendwo und es gibt es kaum Handyempfang. Außerdem herrscht Rauchverbot und jeden Morgen muss Alex früh aus dem Bett, um ein langes Arbeitsprogramm anzugehen. Dafür versteht sie sich gut mit der Reitlehrerin Nina (Vanida Karun), die gleich am ersten Tag erzählt, dass sie lesbisch ist und eine Freundin hat. Nach und nach weiß Alex auch die Arbeit mit den Pferden zu schätzen und genießt zusehends die Weite der offenen Landschaft. Gerade als Alex und Nina sich auch persönlich näherkommen, erscheint die junge Kathy (Alissa Wilms) auf der Bildfläche und stört das neugewonnene Idyll. Kathy ist ein Feriengast aus reichem Hause und bringt ihr eigenes Pferd mit auf den Hof. Doch die anfängliche Antipathie und Eifersucht zwischen dem Neuankömmling und Alex verwandelt sich immer mehr in Freundschaft und in Zuneigung, die bald über die gemeinsame Liebe zu den Pferden hinausgeht...
Monika Treut hat filmisch einen weiten Weg zurückgelegt. Wenn man ihren ersten Spielfilm „Verführung: Die grausame Frau“ von 1985 mit ihrem neuesten Werk „Von Mädchen und Pferden“ vergleicht, könnte man auf den ersten Blick denken, es handele sich um Schöpfungen zweier verschiedener Regisseurinnen. Das genannte Debüt war zu seiner Zeit nicht nur thematisch gewagt (es geht um Sadomasochismus und um einen Club, der entsprechende theatralische Inszenierungen anbietet), sondern auch erzählerisch ungewöhnlich: Obwohl der Film auf Treuts eigener Doktorarbeit fußt, folgt die Regisseurin eher einer Traumlogik als einer nüchternen, rationalen Betrachtungsweise. Es entstand ein Werk von ganz eigener Poesie, das im Lauf der Zeit zu einem kleinen Kultfilm geworden ist. Bei „Von Mädchen und Pferden“ ist all das auf den ersten Blick sehr weit weg: Monika Treuts neuer Film spielt nicht in einem dunklen Club in der Großstadt Hamburg, sondern in der Weite einer flachen Deichlandschaft in Schleswig-Holstein. Statt einer stark stilisierten Inszenierung arbeitet die Filmemacherin hier mit einem geradezu dokumentarischen Duktus. Statt auf exzentrische Persönlichkeiten trifft man auf einfache und robuste Landbewohner. Aber bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass diese beiden extrem unterschiedlichen Filme auch viele Gemeinsamkeiten haben.
Mit Alex ist die Identifikationsfigur in „Von Mädchen und Pferden“ eine um Orientierung ringende junge Frau, die sichtlich angeschlagen erscheint, jedoch keineswegs verurteilt wird. Als ein positives Rollenmodell und als eine Art persönliche Mentorin für Alex fungiert daneben die Reitlehrerin Nina. Die führt die Jüngere jedoch nicht etwa zurück in die „Normalität“, sondern zeigt ihr einen Weg hin zu einem selbstbestimmten Leben jenseits gesellschaftlicher Konventionen. Nina selbst lebt mit einer Frau zusammen und arbeitet auf dem abgelegenen Hof, um ein wenig Abstand zu ihrer sehr besitzergreifenden Freundin zu gewinnen. Sie erscheint als ein sehr freier Mensch, aber auch sie ist nicht perfekt. Alex entdeckt, dass sie Beruhigungstabletten einnimmt. Das macht Nina jedoch nur noch menschlicher. Als Fremdkörper erscheint hingegen zunächst die etwas spießig wirkende Kathy. Aber auch dies wird im Verlaufe der Handlung relativiert. Die Regisseurin schaut genau hin und gerade durch die sorgfältige, unvoreingenommene und vielschichtige Figurenzeichnung wird „Von Mädchen und Pferden“ zu einem Plädoyer für eine freie Selbstentfaltung - und damit zu einem echten Monika-Treut-Film.
Fazit: In „Von Mädchen und Pferden“ erreicht Monika Treut mit geringsten Mitteln viel. Wenn man sich ganz auf dieses minimalistische Werk einlässt, ist das so erfrischend und inspirierend wie ein Urlaub auf dem Reiterhof, abseits vom hektischen Großstadttreiben.