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    The Forest
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Forest
    Von Frank Schnelle

    Wenn Märchen oder Horrorfilme in Wäldern spielen, steht für gewöhnlich nicht der Wald selbst im Mittelpunkt, sondern das, was er verbirgt. Wölfe, Hexen und Hinterwäldler finden im undurchdringlichen Dickicht beste Bedingungen vor; erst durch ihre Präsenz verwandeln sie das Terrain in einen Ort des Schreckens. Auch in „The Forest“ huschen ein paar Geister aus der japanischen Mythologie durchs Bild, aber Regiedebütant Jason Zada, bislang als Werbefilmer und Schöpfer von interaktiven Webvideos tätig, lässt keinen Zweifel, dass bei ihm der Wald selbst der Protagonist ist. Den Aokigahara, auch in der Wirklichkeit als „Selbstmordwald“ bekannt, inszeniert er durchaus effektiv als rätselhaften Organismus, der zwar nur wenig äußere Bedrohung parat hält, dafür aber innere Dämonen freizusetzen vermag. Die minimalistische Horrorstory mit der stark agierenden Natalie Dormer („Game of Thrones“) und dem wunderbar undurchschaubaren Taylor Kinney („Chicago Fire“) ist im Wesentlichen ein paranoides Zweipersonen-Stück und Zada setzt sich damit zwischen alle Stühle: Splatter-Fans wird sie eigentümlich blutarm erscheinen, während Freunde komplexerer Thriller angesichts einiger plakativer Gruselmomente womöglich die Nase rümpfen werden.

    Um ihre verschollene Zwillingsschwester Jess zu suchen, fliegt die junge Amerikanerin Sara (Natalie Dormer) nach Japan. Die Spur führt in einen berüchtigten Spukwald am Fuß des Fuji, der für viele Selbstmordkandidaten der ideale Ort zum Sterben ist. Aber Sara ist sich sicher: Jess ist noch am Leben. Gemeinsam mit dem Journalisten Aiden (Taylor Kinney), einer Zufallsbekanntschaft, und dem einheimischen Guide Michi (Yikiyoshi Ozawa) durchforstet sie das Gelände und weicht dabei trotz aller Warnungen auch von den vorgegebenen Pfaden ab. Es dauert nicht lange, bis der Wald seine unheimlichen Kräfte auszuüben und Sara den Kopf zu verdrehen beginnt. Gibt es eine reale Bedrohung? Oder ist alles nur Einbildung? Kann sie Aiden trauen? Oder treibt er ein hinterlistiges Doppelspiel? Und wo steckt Jess?

    Eine Schlüsselszene des Films ist das Kennenlerngespräch zwischen Sara und Aiden. Beim Bier schildert die junge Frau ein traumatisches Ereignis aus ihrer Kindheit: den Tod der Eltern, den die beiden Schwestern miterleben mussten. Während sie die Szene im Off als tragischen Autounfall beschreibt, entlarven die Bilder ihre Erzählung als Verharmlosung – in Wirklichkeit tötete Saras Vater erst seine Frau und dann sich selbst. Regisseur Zada schafft hier eine interessante Variation des unzuverlässigen Erzählens, denn es bleibt offen, ob Sara nur Aiden etwas vormacht oder auch sich selbst, ob sie bewusst lügt oder unbewusst verdrängt, kurz: ob wir sie als „objektive Instanz“ betrachten können oder nicht. So schleicht sich für den Zuschauer ganz unabhängig vom geheimnisvollen Schauplatz eine faszinierende Irritation ein, ein Gefühl der Orientierungslosigkeit und Unsicherheit. Sara, zunächst als geerdete und geradlinige Figur etabliert, bekommt erste Risse. Und Zada findet für seinen Film einen Weg fernab der Trampelpfade des Genres, „The Forest“ entwickelt sich eher zu einer leisen psychologischen Studie als zum lärmenden Horrorspektakel.

    Ganz konsequent ist Zadas Strategie dabei nicht, denn er mag keineswegs auf konventionelle, manchmal auch billige Schockmomente verzichten. Gelegentlich wirkt das Geschehen trotz schlanker Laufzeit auch arg repetitiv. Mit seiner Nähe zu Traum und Halluzination ist der Film allerdings im besten Sinne unheimlich – ein schleichender, raffiniert konstruierter Trip an einen ungewöhnlichen Ort, der seine ganz eigene Art der Bedrohung entfaltet: als Katalysator des inneren Terrors. Wer die nötige Geduld mitbringt, wird am Ende mit jenem seltenen Ding belohnt, das viele Genrefilmer anstreben, aber nur wenige liefern: mit einem schlüssigen finalen Twist, der einen tatsächlich perplex zurücklässt.

    Fazit: Minimalistisches Horrorkino, in dem der titelgebende Wald als Katalysator für einen paranoiden Psychotrip dient. Manchmal etwas dünn, aber durchaus clever konstruiert und mit angenehmer Ernsthaftigkeit erzählt.

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