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    Tatort: Der Wüstensohn
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tatort: Der Wüstensohn
    Von Lars-Christian Daniels

    Einen solchen Cliffhanger hatte es in der über vierzigjährigen „Tatort“-Geschichte noch nicht gegeben: Nach dem Abspann von Max Färberböcks Münchner „Tatort: Am Ende des Flurs“ ließ die ARD das schockierte TV-Publikum im Unklaren darüber, ob der beliebte Hauptkommissar Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) die Messerattacke einer kurz zuvor überführten Mörderin überlebt. Erst zwei Wochen später herrschte endlich Gewissheit: Der Bayerische Rundfunk veröffentlichte im Netz ein amüsantes Kurzvideo, in dem der wiedergenesene Kommissar fröhlich ins Polizeipräsidium spazierte. In Rainer Kaufmanns exotisch angehauchtem „Tatort: Der Wüstensohn“ ist von eventuellen Nachwirkungen des blutigen Messerangriffs daher auch nichts mehr zu spüren: Leitmayr ist munter wie eh und je und zeigt sich beim Zusammenspiel mit seinem langjährigen Kollegen Ivo Batic (Miroslav Nemec) in bestechender Form. Die köstlichen Dialoge der beiden Ermittler sind aber nur eine von mehreren Stärken der ersten deutschen „Tatort“-Folge nach der Sommerpause: Angelehnt an reale Vorkommnisse thematisieren die Filmemacher die Machtlosigkeit der Polizei gegenüber Politik, Justiz und Wirtschaft, entscheiden sich dabei aber für einen deutlich humorvolleren Ansatz als zuletzt ihre Schweizer Kollegen im „Tatort: Verfolgt“.

    Ein weißer Sportwagen rast durch München. Am Steuer sitzt Nasir al Yasaf (Yasin el Harrouk), der fünfte und jüngste Sohn des schwerreichen Emirs von Kumar, einem arabischen Wüstenstaat. Auf dem Beifahrersitz: eine Leiche. Erst nach einer wilden Verfolgungsjagd gelingt es der Münchner Polizei, Nasir zu stellen – und als die herbeizitierten Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) den Wagen untersuchen und den mordverdächtigen Araber vernehmen wollen, erleben sie eine herbe Enttäuschung. Nasir, der von seinen Münchner Freunden „Prinz“ genannt wird, genießt diplomatische Immunität – und die Leiche in seinem Botschaftswagen, bei der es sich um seinen besten Freund Karim handelt, befindet sich offiziell auf exterritorialem Gebiet. Was tun? Der aufbrausende Prinz, der in der Isarstadt den zwielichtigen Teppichladen „Der Wüstensohn“ betreibt und in einer sündhaft teuren Villa die Millionen seines Vaters verprasst, zeigt sich ebenso wenig auskunftsfreudig wie der kumarische Generalkonsul Abdel Saleh (Samir Fuchs). Doch Batic beeindruckt Nasir mit seiner Hartnäckigkeit – und schon bald sind die Kommissare auf dem schmucken Anwesen des Exzentrikers gern gesehene Gäste…

    „Ich kenn‘ dich als Rassisten – aber gegen Araber? Das ist ja ganz neu“, wundert sich Leitmayr, als Batic den aufmüpfigen Nasir nach der ersten Begegnung als „Kameltreiber, blöder!“ beschimpft. Political Correctness wird kleingeschrieben im 916. „Tatort“: Das ist für die öffentlich-rechtliche Krimireihe zwar ungewöhnlich, für den Unterhaltungswert aber von Vorteil. Die Filmemacher bedienen bei der Wahl ihrer Figuren ganz offen Stereotypen – der frauenverachtende Araber, die geldgeilen Party-Freunde oder der opportunistische Politiker mit Vorliebe für minderjährige Prostituierte. Doch Regisseur Rainer Kaufmann („Die Apothekerin“) nimmt seinen Stoff und die schillernden Charaktere dabei nie zu ernst: Da trottet schon mal ein Kamel durch den Vorgarten der Prinzenvilla („Die zwei anderen sind gerade beim Besamen in Wien!“), während ein halbes Dutzend Dienstmädchen im Gänsemarsch hinter dem exzentrischen Wüstensohn herwatschelt und die Kommissare auf sein Handzeichen hin mit Schnittchen bedient. Diese amüsanten Überspitzungen sind keineswegs aus der Luft gegriffen: Alexander Buresch und Matthias Pacht, die für ihr Skript zu „Das wahre Leben“ 2009 den Grimme-Preis erhielten, orientiert sich bei ihrem Drehbuch an den Eskapaden von Saif al-Arab Gaddafi, der einst unbehelligt von der deutschen Justiz im teuren Sportwagen durch München brauste und ausschweifende Partys feierte, während sein Vater in Libyen herrschte.

    „Der Wüstensohn“ ist eine der humorvolleren Münchner „Tatort“-Folgen und hätte auch gut nach Münster gepasst, doch die Grenze zum Klamauk überschreiten die Filmemacher nie. Das liegt in erster Linie an den geerdeten Kommissaren, die seit mittlerweile 23 Jahren zusammen ermitteln und seit jeher zu den bodenständigsten der Krimireihe zählen. Ein unmoralisches Angebot des Prinzen, der Batic am liebsten in den fiktiven Wüstenstaat Kumar holen und ihm dort monatlich sein jetziges Jahresgehalt überweisen würde, erweist sich als Steilvorlage für amüsante Neckereien von Leitmayr („Wenn sie dir da die Hände abhacken, wer soll dann die Protokolle schreiben?“), der auch den zahnstocherkauenden Partylöwen Henk (herrlich dumpf: Wilson Gonzalez Ochsenknecht, „Gangs“) auf dem Kieker hat. Anders als Henk, der am liebsten mit einer barbusigen Blondine Ego-Shooter zockt und auf Nasirs Kosten Champagner trinkt, macht der Prinz allerdings eine bemerkenswerte Wandlung durch: Sammelt der Wüstensohn anfänglich durch wüstes Beschimpfen von Staatsanwältin Anja Berger (Christina Hecke) oder das Austeilen von Fußtritten an seine Diener noch wenig Sympathiepunkte, offenbart der gastfreundliche Nasir schon bald mehr menschliche Züge als viele der Gestalten, die seine Gesellschaft suchen oder Geschäfte mit ihm eingehen wollen.

    Die diplomatische Immunität des aufbrausenden Sportwagenfreunds tritt dabei immer stärker in den Hintergrund: Anders als der kumarische Generalkonsul zeigt sich Nasir zunehmend kooperativ und begegnet vor allem Batic fast freundschaftlich. Erst auf der Zielgeraden spitzt sich die Lage wieder zu, wenngleich der Krimi in der Täterfrage ziemlich vorhersehbar ausfällt: Wer die Kommissare in einem „Tatort“ einleitend auf sich aufmerksam macht und bei den folgenden Ermittlungen immer stärker aus dem Blickfeld gerät, hat nun mal mit ziemlicher Sicherheit etwas auf dem Kerbholz. Macht aber nichts: Die Auflösung ist Nebensache, und TV-Debütant Yasin el Harrouk trägt den Film mit seiner überragenden Performance fast im Alleingang. Die durchdringenden Blicke, die er allen Eindringlingen in die dekadente Welt aus Party, Sex und Luxus zuwirft, könnten finsterer kaum ausfallen und tragen zugleich den Trotz eines ungeliebten Kindes in sich, das vergeblich um die Anerkennung seines Vaters ringt. Am Ende übertreiben es die Filmemacher mit der Zuspitzung auf diese charismatische One-Man-Show allerdings ein wenig: Spätestens, als der Prinz zum Rhythmus einer Metalltrommel ein befremdlich wirkendes Gesangssolo anstimmt, ist das gesunde Maß an Exotik überschritten und aus der kulturellen Einfärbung wird unnötiger Kitsch.

    Fazit: Rainer Kauffmanns „Tatort: Der Wüstensohn“ ist ein origineller und humorvoller Krimi aus München, der trotz der gelegentlichen Vorhersehbarkeit bis in die Schlussminuten gut unterhält.

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