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    Elvis
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Elvis

    Blockbuster-Bombast mit einem hüftenschwingenden Bühnen-Superhelden

    Von Annemarie Havran

    Dank der Kassenerfolge von „Rocketman“ und noch mehr „Bohemian Rhapsody“ (der erfolgreichste Film 2018 in Deutschland) ist es plötzlich wieder möglich, für Musiker-Biopics echte Blockbuster-Budgets zu bekommen – und genau so eines hat Baz Luhrmann auch gebraucht, um seine ausschweifende Vision eines Films über Elvis Presley Realität werden zu lassen. Schließlich ist der australische Regisseur dafür bekannt, in seinen Filmen gnadenlos auf den Putz zu hauen und im Kern tragische Geschichten als bewusstseinserweiternde Glitzer-Operetten zu inszenieren.

    Und so verwundert es nicht, dass das Mastermind hinter Hochglanz-Überwältigungskino wie „Romeo + Julia“, „Moulin Rouge“ oder „Der große Gatsby“ auch seinen Elvis-Film als berauschende Rock’n‘Roll-Sause anlegt. „Elvis“ ist ein Film, bei dem ein möglichst voller Kinosaal wie bei einem Konzert mitgehen und immer wieder tosenden Szenenapplaus verteilen soll. Zugleich nehmen die klassischen Biopic-Elemente im Verlauf der zweieinhalb Stunden dann doch immer mehr zu – und die fallen leider enttäuschend generisch und oberflächlich aus.

    Wenn Elvis (Austin Butler) die Bühne betritt, dann bräuchte er für seine Hüften eigentlich einen Waffenschein!

    Als der Rummelplatz-Manager Colonel Tom Parker (Tom Hanks) auf einen jungen Sänger namens Elvis Presley (Austin Butler) aufmerksam wird, wittert er eine Sensation: Musik und Stimme des Sängers sind vom Rhythm and Blues geprägt, aber Elvis ist weiß – und diese unbekannte (und für viele unerhörte) Mischung lässt sich im Amerika der 1950er Jahre sicher grandios vermarkten. Zudem liefert der junge Mann mit der markanten Haartolle auf der Bühne eine Wahnsinns-Show ab – und so wird Elvis bald zum umjubelten Star und Sex-Symbol …

    … was allerdings auch die Sittenwächter*innen auf den Plan ruft: Zwei Jahre als Soldat in Deutschland sollen ihm ein Image als braver Vorzeige-Bürger und familientauglicher Hollywoodstar verpassen. Doch davon hält Elvis nicht viel – und als er mit der jungen Priscilla (Olivia DeJonge) verheiratet in die Staaten zurückkehrt, dauert es nicht lange, bis er gegen die strengen Vorgaben seines Managers, der mehr am Geld als an der künstlerischen Integrität seines Klienten interessiert ist, zu rebellieren beginnt...

    Elvis, der Superheld

    Elvis, der sich als Comic-Fan outet und gerne wie sein Lieblingsheld fliegen können würde, wird von Baz Luhrmann selbst als eine Art Superheld in Szene gesetzt. Seine Superkräfte sind die Musik – und natürlich das skandalös-unzweideutige Schwingen seiner Hüften, als hätte er eine 50er-Jahre-Variante des Twerkens erfunden! In mitreißenden Konzertszenen wirbelt Austin Butler absolut überzeugend als Elvis über die Bühne, bis vor allem die Frauen im Publikum vor Ekstase kreischen und ihre Unterwäsche auf die Bühne werfen. Elvis bewegt sich wie ein junger Gott, der ziemlich horny ist – dabei gilt seine Begierde aber nicht in erster Linie den Frauen, sondern der Liebe seiner Fans. Die erste in einem Affentempo geschnittene und erzählte Stunde von „Elvis“ ist durchweg elektrisierend.

    Dass es vor allem die Liebe zu Schwarzen Künstler*innen wie B.B. King (Kelvin Harrison Jr.) und Mahalia Jackson ist, die Elvis schon früh geprägt und seinen Musikstil maßgeblich beeinflusst hat, visualisiert der Film mit einer starken Rückblende: Elvis, der als einer der wenigen Weißen in einer Nachbarschaft mit mehrheitlich Schwarzer Bevölkerung aufwächst, wird als kleiner Junge von dem Gospel-Gesang eines Gottesdienstes geradezu magisch angezogen. Mit einem aufgenähten Blitz auf seiner Latzhose – er spielt gerade seinen Lieblingshelden Captain Marvel Jr. – taucht er in die Menge der berauscht Singenden und Tanzenden ein, bis er selbst beseelt zuckend ein Teil von ihr wird. Es ist die Geburtsstunde eines musikalischen Superhelden – und diese pure Ekstase überträgt nicht nur Elvis später auf seine Konzertbesucher*innen, sondern auch Baz Luhrmann auf sein Kinopublikum.

    Als Elvis seine spätere Frau Priscilla (Olivia DeJongei) kennenlernt, ist diese erst 14 Jahre alt – was im Film allerdings unerwähnt bleibt.

    „Elvis“ funktioniert immer dann am besten, wenn sein Titelheld von wilden Kamerafahrten, Nahaufnahmen und Split Screens begleitet auf der Bühne die Sau rauslässt – da ist Baz Luhrmann, der schon seit seinem Erstling „Strictly Ballroom“ ganz genau weiß, wie man Tanzszenen mitreißend inszeniert, bevor er mit „Moulin Rouge“ das visuell wohl berauschendste Leinwandmusical des angebrochenen Millenniums abgeliefert hat, voll in seinem Element. Erzählt wird der Film allerdings gar nicht aus der Perspektive von Elvis, sondern der seines zwielichtigen Managers, Colonel Tom Parker, trotz Fatsuit und Make-up mit dem unverkennbaren Tom-Hanks-Gestus und einem eher gewöhnungsbedürftigen niederländischen Akzent verkörpert.

    Dass die Beziehung des Colonel zu seinem Schützling – bzw. vielmehr seinem Goldesel – im Vordergrund steht, der Film also keine objektive Außenperspektive einnimmt, ermöglicht es Baz Luhrmann auch, problematischere Aspekte seines Titelcharakters – wie die Beziehungen zu minderjährigen Mädchen – einfach unter den Tisch fallen zu lassen. Denn um den „echten Menschen“ Elvis Presley geht es dem Regisseur hier sowieso nicht. Sein „Elvis“ ist, zumindest in der ersten Hälfte, die ekstatische Feier einer überlebensgroßen Bühnen-Persona, die bis in die Gegenwart mit ihrer Musik die Menschen berührt – auch wenn heute wahrscheinlich (fast) niemand mehr kreischend zusammenbricht, wenn er oder sie an Elvis denkt.

    Kunst & Kommerz

    Wenn Colonel Parker einen Konzertdeal mit einem Casino in Las Vegas vor allem deshalb eintütet, um seine eigenen Spielschulden loszuwerden, wirkt der versehentlich verschüttete Rotwein auf dem Vertrag sicher nicht zufällig wie das Blut auf einer mephistophelischen Urkunde. Die Widersprüchlichkeit von Kunst und Kommerz ist immer wieder ein zentrales Motiv des Films: Während Elvis um seine Authentizität kämpft und sich von den Sittenwächter*innen nicht das Tanzen verbieten lassen will, fordert Parker nicht nur eine fernsehtaugliche „Familienfreundlichkeit“, sondern vermarktet auch im großen Stil Elvis-Merchandise – samt „Ich hasse Elvis“-Ansteckern. Auch mit dem Hass der Elvis-Gegner*innen lässt sich schließlich Geld verdienen.

    Doch je mehr die Geldgier und vor allem auch die wahren Beweggründe von Colonel Parker, der in vielen Szenen überdeutlich an den ausbeuterischen Varieté-Direktor Harold Zidler (Jim Broadbent) aus „Moulin Rouge“ erinnert, im Verlauf des Films in den Vordergrund rücken, desto mehr scheint sich Baz Luhrmann leider auch daran zu erinnern, dass er ja eigentlich ein Biopic drehen wollte. Und damit verliert „Elvis“ viel von seinem aufpeitschend-elektrisierenden Drive. Fast schon pflichtschuldig arbeitet Luhrmann Elvis’ zunehmende Rebellion gegen seinen Manager und seine späteren Tiefpunkte wie die Scheidung von Priscilla oder den zunehmenden Drogenkonsum ab.

    Hinter Colonel Tom Parker (Tom Hanks) steckt eine faszinierende und wo möglich sogar tieftragische Geschichte – im Film ist er allerdings „nur“ ein Abzieh-Bösewicht.

    Und hier wird es dem Film dann plötzlich doch noch zum Verhängnis, dass er sich zuvor die ganze Zeit an einem überlebensgroßen Superhelden statt an einem Menschen aus Fleisch und Blut abgearbeitet hat. Denn dem auf Glanz und Glitzer gepolten Film gelingt es nicht, in dieser zweiten Hälfte tiefer gehende Einblicke zu liefern – und zwar weder in Bezug auf die Hintergrundgeschichte des als Bösewicht-Abziehbild dienenden Tom Parker noch in das (Seelen-)Leben von Elvis selbst. Elvis’ späte Jahre handelt Luhrmann vielmehr wie die 08/15-Biopic-Variante eines Wikipedia-Eintrags ab. Die Tragik von Elvis’ psychischem und physischem Zerfall und seinem frühen Tod kommt dabei nie wirklich zum Tragen.

    Fazit: Baz Luhrmann inszeniert Elvis Presley als Musik-Superhelden mit einer elektrisierenden Bühnen-Präsenz und geradezu magischen Hüften. Austin Butler liefert als König des Rock’n‘Roll eine überzeugende Performance und haucht dem Mythos Elvis in überbordend inszenierten Konzert-Szenen neues Leben ein. Leider entwickelt sich „Elvis“ nach der starken ersten Hälfte zunehmend zu einem eher konventionellen Biopic, das die Lebensstationen seiner Titelfigur abhakt, ohne der Komplexität des Jahrhundertkünstlers wirklich gerecht zu werden.

    Wir haben „Elvis“ beim Filmfestival in Cannes 2022 gesehen.

     

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