Der französische Superstar Christian Clavier ist schon seit der Zeitreise-Komödie „Die Besucher“ von 1993 auch international ein Begriff und nachdem er einige Jahre danach die gallische Kultfigur Asterix in zwei Filmen verkörperte steigerte sich seine Bekanntheit noch. Aber erst im 2014er-Überraschungshit „Monsieur Claude und seine Töchter“ ist er erstmals einem hiesigen Millionenpublikum als Charakterdarsteller in einem sehr zeitgenössischen Stoff aufgefallen. Und wo er dort aufgehört hat, macht er nun in „Nur eine Stunde Ruhe!“ weiter: als gutsituierter Besitzbürger, der seine liebgewordene Borniertheit und reaktionären Überzeugungen begraben muss. Im Vergleich zu „Monsieur Claude und seine Töchter“ mag Patrice Lecontes Komödie etwas seichter sein, dafür wird Claviers Hauptfigur hier aber auch deutlich heftiger zugesetzt.
Als Zahnarzt verdient Michel Leproux (Christian Clavier) gut und führt in Paris ein komfortables Leben mit einer Luxuswohnung, der aparten Ehefrau Nathalie (Carole Bouquet) und der Geliebten Elsa (Valérie Bonneton). Seinen Sohn, den berufslosen Globalisierungsgegner Sébastien (Sébastien Castro), hält er zwar für einen Nichtsnutz, und die Patienten nerven ihn, aber wenn er sich seiner Musiksammlung widmen kann, ist Michel glücklich. An einem sonnigen Samstag hat er eine seltene Jazz-Platte auf dem Flohmarkt erstanden und will sie in einer stillen Stunde gleich hören. Aber alles und jeder scheint sich gegen ihn verschworen zu haben: Die Handwerker setzen die halbe Wohnung unter Wasser, Sébastien quartiert Asylanten ein, die Mätresse will Liebesbeweise, die Gattin macht überraschende amouröse Geständnisse und der Nachbar nervt mit seinem Hausfest. Am Ende des Tages ist Michels Leben ziemlich auf den Kopf gestellt.
Die Bühnenherkunft des Stoffes (das gleichnamige Boulevardstück feierte auch schon in einigen deutschen Theater Erfolge) ist auch in der Leinwandversion unverkennbar: Da werden immer wieder mit Nachdruck Türen geknallt, unaufhörlich plärrt das Telefon, und wie unter Bluthochdruck wird meist um scheinbar unbedeutende Kleinigkeiten gestritten. Turbulenzen werden mit leichter Hand und ohne große Sorge um Plausibilität herbeigeführt. Deshalb wirken die Sorgen und Nöte der hier porträtierten oberen Mittelschicht bisweilen auch arg banal – es wird auf hohem Niveau gejammert. Doch auf den zweiten Blick lauert durchaus eine unvermutete Sprengkraft in „Nur eine Stunde Ruhe!“, die dem launigen humoristischen Reigen etwas Abgründiges verleiht.
Es beginnt alles mit der Jazz-Platte, die Michel ersteht. Schon deren Titel „Me, Myself and I“ spricht Bände über die maßlose Ich-Bezogenheit des Protagonisten. Vor keiner Lüge scheut Michel zurück, um sich Ruhe für seinen Musikgenuss zu verschaffen. Seine Geliebte bedauert, sich von ihm trennen zu müssen? Oh ja, natürlich, er bedauert das auch. Seine Frau fragt ihn, ob er sie liebe? Aber natürlich, unendlich. Fast ohne es zu merken zerstört Michel dabei einen Teil seines Lebens – und alles nur für eine Stunde Ruhe. Hier wird der Vater-Typus des patriarchalischen Clan-Oberhaupts anders als noch in „Monsieur Claude“ gnadenlos dekonstruiert: Michels Egoismus treibt ihn in die Einsamkeit, nach und nach entziehen sich alle seinem Machtbereich, niemand fragt ihn mehr um seine Meinung, selbst sein Geld nützt ihm nichts mehr. Die Verletzung, mit der er irgendwann am Boden liegt, ist mehr als nur äußerlich. Kein Zweifel: Christian Clavier hat seine Leinwand-Persona verblüffend weiterentwickelt.
Fazit: „Nur eine Stunde Ruhe!“ wirkt an der Oberfläche seicht, entpuppt sich darunter aber als vergnügliche Dekonstruktion seiner von Christian Clavier beeindruckend verkörperten Hauptfigur.