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    Im Keller
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Im Keller
    Von Michael Meyns

    Im besten wie im weniger guten Sinne „typisch Ulrich Seidl“ – das ist „Im Keller“. Der österreichische Regisseur steigt einmal mehr tief in die Abgründe seiner Heimat und ihrer Bewohner hinab und diesmal lässt sich das sogar ganz wörtlich nehmen: Schon bei der Recherche zu seinem ersten Spielfilm-Erfolg „Hundstage“ waren Seidl die Keller aufgefallen, in denen sich neben viel Profanem auch manch Skurriles oder Befremdliches versteckte. Später bekam der Ort „Keller“ durch die Entdeckung des entführten Mädchens Natascha Kampusch in der Alpenrepublik eine besonders sinistere Konnotation, mit der Seidl in seiner Dokumentation „Im Keller“ nun oft überdeutlich spielt. Was er bei seiner Entdeckungsreise unter Tage ans Licht befördert, ist ein Panoptikum von allerlei Absonderlichkeiten, wie wir es in seinen Filmen schon öfter zu sehen bekamen. Mal bringt dies Momente von erschreckender, manchmal auch entlarvender Banalität, an anderer Stelle wirkt „Im Keller“ dagegen fast wie eine (Selbst-)Parodie des Regisseurs.

    Eine ältere Frau, die in ihrem Keller lebensechte Baby-Puppen aufbewahrt und diese in den Schlaf wiegt. Ein Mann, der in einem Gewölbe im Untergeschoss Schießunterricht erteilt. Ein kleines Keller-Schwimmbad. Ein in sado-masochistischer Beziehung lebendes Pärchen: Er kriecht meist nackt durch die Wohnung, während sie Befehle erteilt - und zur besonders heftigen Bestrafung geht es in den Keller. Ein alter Partyraum, in dem ein Ehepaar früher bei jeder Gelegenheit gefeiert hat und nun in Erinnerungen schwelgt. Der Keller eines Hobbymusikers, der unter Hitler-Porträt und Hakenkreuzfahne mit Bekannten in Trachtenkleidung Bier trinkt.

    Dies sind nur einige der Keller, in die Ulrich Seidl hinabsteigt, wobei besonders letztere Episode schon für Wirbel gesorgt hat: Zwei der beteiligten Saufkumpane im „Nazi-Keller“ waren Gemeinderäte der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und zeigten sich empört über die angeblich verzerrte Darstellung ihres Lebenswandels. Seidl hat diesen Vorwurf natürlich zurückgewiesen und betonte, dass jeder der in seinen Filmen auftrete, dies ganz bewusst und unter eigener Verantwortung tue. Doch ganz so einfach, wie es sich der Regisseur damit macht, ist die Sache nicht, denn wie Seidl selber zugibt, ist hier vieles sehr viel stärker inszeniert als es den Anschein haben mag. So besitzt die erwähnte Frau mit den Babypuppen zwar tatsächlich eine dieser Puppen, doch diese befindet sich sonst nicht etwa im Keller, sondern in der Wohnung. Die Sequenz im Untergeschoss, so berührend sie auch ist, ist also reine Erfindung und im besten Fall das, was Werner Herzog einst ekstatische Wahrheit nannte: eine Szene, die zwar fiktiv ist, aber doch irgendwie der Essenz der entsprechenden Person nahekommt.

    Die vielfältigen auch moralischen Probleme einer solchen Arbeitsweise sind gerade bei einem vorgeblichen Dokumentarfilm offensichtlich, zumal Seidl ganz bewusst nicht etwa nach schnöden Fitnesskellern oder Bierdeckelsammlungen gesucht hat, sondern nach Abgründigem. Doch was soll man von einer Aneinanderreihung von teils in den für Seidl typischen starren, frontalen Tableaus stilisierten Szenen und teils mit offensichtlicher Handkamera gefilmten und gleich viel „echter“ wirkenden Momenten halten? Ist das wirklich ein mehr oder weniger authentischer Querschnitt durch die österreichischen Keller? Oder ist das nicht doch bisweilen der Versuch den Zuschauer mit einer Zurschaustellung von sexuellen Abgründen oder eines zumindest fahrlässigen Umgangs mit Nazi-Devotionalien zu schockieren? Schon in seiner „Paradies“-Trilogie ist Seidl die Gratwanderung zwischen faktischer Darstellung und denunzierender Bloßstellung nicht durchgängig gelungen. In seiner ersten angeblich rein dokumentarischen Arbeit seit elf Jahren überschreitet er nun immer wieder eine Grenze, die „Im Keller“ zu einem zwar oft eindrücklichen, aber ebenso oft auch zwiespältigen Film macht.

    Fazit: Ulrich Seidl nimmt in seiner Dokumentation die teils erschreckend banal wirkenden, teils bizarren Kellerräume seiner österreichischen Landsleute ins Visier und liefert viele eindrucksvolle Einblicke, bedient sich dabei zugleich aber auch immer wieder fragwürdiger Methoden.

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