Heinrich von Kleist (1777-1811) ging als großer Dramatiker, Erzähler und Lyriker in die Geschichtsbücher ein, auch wenn ihm zu Lebzeiten nur wenig Anerkennung und Erfolg beschieden war. Mit „Michael Kohlhaas“, „Der zerbrochene Krug“ oder „Die Marquise von O.“ hinterließ er echte Klassiker, die heute zum Kernrepertoire der Schulliteratur gehören. Eins von Kleists zentralen Themen waren die klaren Strukturen der Ständegesellschaft und der Versuch, aus ihnen auszubrechen. Irgendwann erschien dem Dichter selbst das Leben auf Erden schließlich nur noch qualvoll und nichtig, sodass er am 21. November 1811 zusammen mit Henriette Vogel Selbstmord beging. Regisseurin Jessica Hausner („Hotel“, „Lourdes“) legt mit ihrer Freitod-Tragikomödie „Amour fou“ ihre Interpretation der letzten Monate des lebensmüden Schriftstellers vor und stellt der Starrheit der Szenerie und Figuren einen überraschend trockenen Humor entgegen, der sich aus den gestelzt daherkommenden Dialogen speist.
1811: Heinrich von Kleist (Christian Friedel), ein recht bekannter, aber weitgehend mittelloser Dichter und Schriftsteller, ist von einer starken Todessehnsucht ergriffen, der er zusammen mit seiner geliebten Cousine Marie von Kleist (Sandra Hüller) nachgeben will. Doch Heinrichs Anfrage, ob sie nicht bereit sei, ihm aus Liebe in den Tod zu folgen, wird von ihr nur kopfschüttelnd abgelehnt. In der zurückhaltend-farblosen Henriette Vogel (Birte Schnoeink) meint Heinrich dann eine Seelenverwandte für den von ihm ersehnten gemeinsamen Liebestod gefunden zu haben. Auch Henriette ist zuerst von dem Anliegen des feinfühligen Dichters schockiert, doch dann erleidet sie sonderbare Schwächeanfälle, die sich auch ihr besorgter Hausarzt nicht erklären kann. Sie fängt an, ihr Leben zu hinterfragen...
Mit den immer wieder stattfindenden Liederabenden, bei denen die Familie Vogel und ihre Hausgäste regungslos der dargebotenen Musik lauschen, gibt die österreichische Regisseurin Jessica Hausner ihrer an historischen Tatsachen orientierten, aber stellenweise zugespitzten Version der letzten Monate von Heinrich von Kleist ein gliederndes Gerüst. Sie zeichnet insbesondere ein klares Bild des von strikten Normen bestimmten Lebens der deutschen Oberschicht kurz vor Beginn der Biedermeierzeit. Die Figuren sind in ein Korsett aus gesellschaftlichen Regeln und Erwartungen gezwängt, denen die statischen Einstellungen und die sterilen, wenn auch farbenprächtigen Dekors visuell Ausdruck verleihen: Jegliche Individualität und Spontaneität wird hier im Keim erstickt. Die Protagonistin Henriette erscheint entsprechend als eine genügsame Frau, die ihren Daseinszweck darin sieht, ihrem Mann und ihrer Familie zu dienen und ihr komfortables, aber ereignisloses Leben nicht hinterfragt. Doch durch die Worte des Dichters, dem nach eigener Aussage auf Erden nicht mehr zu helfen ist, gerät das Weltbild der jungen Mutter ins Wanken. Sie beginnt sich zu fragen, ob sie ihre Familie liebt und ob ihre Angehörigen sie ihrerseits auch wirklich in Liebe zugeneigt sind, was Heinrich anzweifelt.
Birte Schnoeink („Lore“) arbeitet den Wandel Henriettes vom naiven Mauerblümchen zur überempfindlichen Melancholikerin, die ihrem Leben gleichgültig und ohne Freude begegnet subtil heraus. Auch Christian Friedel („Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte“) überzeugt als untersetzter, zartbesaiteter Dichter, der seine durchdachten Sätze zumeist verlegen und ängstlich hervorbringt. Dennoch wirken die Figuren oft hölzern und die dauerpräsenten Hunde erscheinen oftmals lebendiger als die Personen. Die gestelzten Unterredungen sind dabei durchzogen von amüsanten Spitzen, die „Amour Fou“ den absurd-trockenen Charakter einer eigenwilligen romantischen Komödie verleihen. Unter der strengen Oberfläche der Inszenierung brodelt damit noch ein ganz anderer Film.
Fazit: „Amour Fou“ spiegelt die gesellschaftliche Enge des beginnenden 19. Jahrhunderts in seiner formalen Strenge, gleichzeitig bekommt der Film durch trockenen Dialogwitz einen unerwartet amüsanten Unterton.