Anders Thomas Jensen hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer wieder als ebenso eigenwilliger wie origineller Filmemacher profiliert und ist längst eine tragende Säule des dänischen Kinos. Seine clever konstruierten Drehbücher verleihen auch den Werken anderer Regisseure einen unverkennbaren Jensen-Touch, der ist in den Arbeiten für seine künstlerische Dauerpartnerin Susanne Bier (unter anderem beim Oscar-Gewinner „Nach der Hochzeit“ und jüngst bei „Zweite Chance“) genauso deutlich zu spüren wie etwa in „In China essen sie Hunde“ oder zuletzt beim Western-Drama „The Salvation“. Eine besondere Vorliebe hat Jensen für schwarze Komödien, die sich schon in seinen Kurzfilmen der 90er Jahre zeigte (für „Wahlnacht“ gewann er sogar den Oscar) und die auch die von ihm selbst inszenierten Langfilme „Flickering Lights“, „Dänische Delikatessen“ und „Adams Äpfel“ nachhaltig prägt. Bei seinem neuesten Film „Men & Chicken“ setzt der Regisseur nun erneut auf eine Mischung aus hintersinnig-boshaftem Humor und denkwürdigen Figuren. Mit der Biologie-Farce und Familien-Groteske kommt er zwar nicht an seine besten Filme heran, aber eine provokant-unterhaltsame Arthouse-Komödie ist Jensen dennoch gelungen.
Die Brüder Gabriel (David Dencik) und Elias (Mads Mikkelsen) haben kaum etwas gemeinsam. Während Gabriel Evolutionspsychologie und Philosophie lehrt, jagt Elias fruchtlos hinter jedem Rockzipfel her und onaniert zwanghaft. Ein Handicap teilen die beiden allerdings: Hasenscharten thronen in ihren mehrfach operierten Gesichtern. Nach seinem Tod offenbart der Vater den ungleichen Brüdern per Videokassette, dass sie adoptiert sind und von verschiedenen Müttern stammen, die im Kindbett verstorben sind. Ihr Erzeuger ist der Forscher Evilio Thanatos, der auf der kleinen dänischen Insel Ork lebt. Dort lernen Gabriel und Elias alsbald ihre Halbbrüder Gregor (Nikolaj Lie Kaas), Franz (Søren Malling) und Josef (Nicolas Bro) kennen, die Seite an Seite mit etlichen Bauernhoftieren im maroden väterlichen Anwesen hausen. Nach einer gewaltsamen Begrüßung ziehen die verlorenen Söhne in das Irrenhaus, um das Geheimnis ihrer Herkunft zu klären…
Schon immer galt das besondere Interesse von Anders Thomas Jensen den entlegeneren Seiten der menschlichen Natur, in „Men & Chicken“ geht es nun im Kern darum, was Mensch und Tier überhaupt unterscheidet. Dass der Däne sich diesen existenziellen Fragen nicht mit grüblerischer Gedankenschwere, sondern mit der gewohnt absurd-assoziativen Lockerheit nähert, zeigt schon der bizarre Küken-Prolog. In der Folge geht es dann um Stammzellenforschung und Bibelexegese, darum, den anderen ausreden zu lassen, und natürlich um das Tier im Manne. Im Haushalt der eigenbrötlerischen Halbbrüder auf der Insel gelten dabei eigene Regeln. Sie sind mit Ausnahme des „schwarzen Schafs“ Gabriel extrem jähzornig, schon banale Anlässe wie die Tellerverteilung beim Abendbrot genügen, um die Brüder auf die Palme zu bringen, die immer wieder mit Tierpräparaten und Nudelhölzern aufeinander losgehen. Aber selbst wenn sie Sex mit einem Huhn haben oder Terror im Kindergarten verbreiten und sie mit ihren (computeranimierten) Gaumenspalten auch äußerlich als Außenseiter gebrandmarkt sind, werden die Brüder nicht zu bloßen Schießbudenfiguren und der Film wird nie zur Freakshow.
Das abseitige Verhalten der Figuren entpuppt sich immer wieder als gar nicht so ungewöhnlich (so gibt es auch einen manchmal fast rührenden brüderlichen Zusammenhalt) und dass sie das Menschliche nicht verlieren ist auch den einfühlsamen Schauspielern zu verdanken, die sich jede zusätzliche karikaturenhafte Übertreibung verkneifen. So gibt Mads Mikkelsen („Die Jagd“) seinem Elias trotz absurdem Schnauzer und tumber Triebhaftigkeit eine friedfertige Seele und auch die anderen Brüder haben alle ein eigenes Profil mit Widerhaken, wobei der von Nicolas Bro („Adams Äpfel“) treuherzig angelegte Josef einem besonders ans Herz wächst. Aber trotz der ehrenwerten Bemühungen auch von Nikolaj Lie Kaas („Beast“), Søren Malling („Mifune“) und David Dencik („Verblendung“) kommt das Tragische des Stoffes kaum zum Tragen, dafür setzt Jensen zu sehr auf kleine Gags statt auf große Gedanken.
Die Genrebezeichnung schwarze Komödie passt bei „Men & Chicken“ wie das Nudelholz aufs Auge. Anders Thomas Jensen garniert den makabren Humor nämlich mit Gruselelementen wie dem mysteriösen Keller, in dem der Vater in bester Frankenstein-Manier merkwürdige Experimente anstellte. So hört die Insel wohl nicht zufällig auf den Namen Ork, was an Graf Orlok und wie das schlossartige Anwesen der Halbbrüder an den Dracula-Mythos erinnert. Mit der Auflösung schließlich findet der Horror einen angemessenen Höhepunkt, aber vor allem werden die weitreichenden thematischen Fragen zu einem pointierten, wenn auch erwarteten Ende gebracht: Philosophische Tiefe ist mit in den Kinosaal geschleuderten Stichworten schwerlich zu erreichen.
Fazit: Eine eigenwillig-rabenschwarze, aber auch etwas selbstgenügsame Komödie aus Dänemark mit überspannten Figuren und viel skurrilem Humor.