Die meiste Zeit ist die hessische Stadt Kassel kaum mehr als ein semibedeutsamer ICE-Umsteigebahnhof im Zentrum Deutschlands. Alle fünf Jahre jedoch wird Kassel zum Nabel der Kunstwelt, besuchen Künstler, Kuratoren und Kunstinteressierte aus aller Welt die 100 Tage dauernde documenta, die weltweit bedeutendste Ausstellung für zeitgenössische Kunst. Wenn man in Kassel aufgewachsen ist, so wie die beiden Filmemacherinnen Katrin und Susanne Heinz, hat man naturgemäß einen anderen Blick auf Stadt und Ausstellung als der flüchtige Besucher. Von dieser Innenperspektive lebt die etwas umständlich betitelte Dokumentation „Art’s Home Is My Kassel“, mit der die Filmemacherinnen einen Bogen von Aufbau bis zum Rückbau der documenta 13 werfen und interessante Einblicke in eine Parallelwelt liefern.
Eröffnet wurde die 13 Ausgabe der documenta am 9. Juni 2012, als sich neben zahllosen Künstlern auch Bundespräsident Joachim Gauck nach Kassel bemühte und von documenta-Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev einige Erklärungen bekam. Erklärungen, die angesichts mancher Kunstwerke durchaus notwendig erscheinen. So ist dann auch die angehende Künstlerin Rui Yin eine der Protagonistinnen des Films, die auf Führungen Besuchern ihre Gedanken zur Kunst Nahe bringt. Im Kontrast dazu sind immer wieder meist ältere Kasseler Bürger zu sehen, die gerade zu Kunstwerken, die nicht unmittelbar als Kunst erkennbar sind, erwartbare Kommentare abgeben: „Das kann ich auch, das ist keine Kunst“ heißt es da schon mal, was wohl den Kontrast zwischen hochtrabender Kunstwelt und normalem Bürger andeuten soll.
Mit solchen Kontrasten arbeiten die aus Kassel stammenden Regisseurinnen, zeigen etwa immer wieder eine Taxifahrerin, die documenta-Besucher kutschiert und wenig Verständnis für die ausländischen Kunstschaffenden hat. Wie ein Dorf wirkt Kassel in solchen Momenten, was in den Augen mancher Künstler genau der Grund ist, warum eine Kunstausstellung in diesem Niemandsland Sinn macht. In Kassel gibt es nichts, meint da etwa der amerikanische Künstler Sam Durant, wer dorthin kommt, will Kunst sehen und ist deswegen besonders konzentriert. Eine Analyse, an der durchaus etwas dran ist, wenn man sich die Besuchermassen vor Augen hält, die mit dickem Begleitbuch durch die über ganz Kassel verstreuten Ausstellungsorte streifen und sich mit teils sehr abstrakten Dingen beschäftigen.
Im Zentrum der Stadt, vor dem so genannten Friedericianum dagegen, haben sich für die Dauer der Ausstellung Demonstranten der Occupy-Bewegung eingefunden, die eine Zeltstadt aufgebaut haben und für eine gerechte Welt kämpfen. Was durchaus auch dem Ansatz der documenta-Leiterin entspricht, doch formuliert Christov-Bakargiev dies in deutlich weniger klaren Sätzen. Doch diese etwas unbestimmte Art passt gut in diese Dokumentation, die in loser Abfolge Mitarbeiter und Besucher der documenta zeigt, die teils schon Monate vor Eröffnung am Aufbau beteiligt sind, später ihr im Schatten der Kunst stehendes Werk bewundern, das im Anschluss an die Ausstellung schmucklos abgerissen wird. Aus all diesen Elementen formen Katrin und Susanne Heinz einen sehenswerten Film über die documenta, der interessante Einblicke hinter die Kulissen der Großausstellung liefert.
Fazit: Mit „Art’s Home Is My Kassel“ werfen Katrin und Susanne Heinz einen interessanten Blick hinter die Kulissen der documenta und zeigen wie die Kunstausstellung alle fünf Jahre das Leben in ihrer Heimatstadt dominiert und beeinflusst.