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    West Side Story
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    West Side Story

    Handwerklich brillant mit gewissen Abzügen in der B-Note

    Von Sidney Schering

    Bricht man die Story von „West Side Story“ auf ihren Kern herunter, ist es eine in die Upper West Side von New York verlagerte Abwandlung des Shakespeare-Stückes „Romeo & Julia“. Trotzdem hat sich die in den 1950er-Jahren angesiedelte Musical-Adaption nicht zuletzt dank der einprägsamen Musik von Leonard Bernstein und der smarten Texte des erst kürzlich verstorbenen Stephen Sondheim als zeitlos populär erwiesen: 1957 uraufgeführt, entwickelte sich das Musical auf Anhieb zu einem Publikumsrenner und Kritikerfavoriten. Nur vier Jahre später folgte die Verfilmung von Jerome Robbins und Robert Wise, die nicht nur zum gewaltigen Kassenschlager geriet, sondern darüber hinaus auch noch sensationelle zehn Oscars (darunter auch den für den Besten Film) abräumen konnte.

    Um sich trotz derart vieler Lorbeeren für das Original an eine Neuauflage zu machen, braucht schon einiges an Mumm – und im besten Fall auch eine eigene Vision. Und tatsächlich ist es nun 60 Jahre später endlich soweit: Drehbuchautor Tony Kushner und Regielegende Steven Spielberg wagen den Vergleich. Ihre „West Side Story“ strotzt dabei vor technischer Brillanz, handwerklichem Können sowie der Liebe für die Kunstform Musical – und vor allem findet sie bei aller Hochachtung vor der Vorlage dennoch ihre ganz eigene (wenn auch nicht ganz runde) Identität.

    Die Musical-Szenen sind ein einziges Fest für die Sinne.

    In den 1950ern wird der Alltag auf den Straßen von New York City von Gangrivalitäten bestimmt. Besonders zwischen den „einheimischen“ Jets sowie den puerto-ricanischen Sharks mit ihrem Anführer Bernardo (David Alvarez) herrschen starke Spannungen. Als sich Jets-Gründer Tony (Ansel Elgort) jedoch in Bernardos Schwester Maria (Rachel Zegler) verliebt, nähert sich der von jugendlichem Revierdenken angetriebene Konflikt seinem entscheidenden Wendepunkt: Wird die heimliche Liaison Brücken bilden – oder wird der Hass zwischen den Banden so weit eskalieren, dass er am Ende gar Menschenleben kostet?

    Benötigt ein Kino-Klassiker wie „West Side Story“ wirklich ein Remake? Lustigerweise waren es ausgerechnet einige Beteiligte am Original-Musical, die genau diese Meinung immer wieder vertraten: So äußerte sich etwa Leonard Bernstein zu Lebzeiten unzufrieden mit den für den Film gewählten Arrangements seiner Broadway-Kompositionen. Arthur Laurents, der Autor des Stücks, hatte sogar gleich mehrere Kritikpunkte: Ihm stießen das Make-up, die knallbunten Kostüme der puerto-ricanischen Figuren, die Performances diverser Nebendarsteller*innen und vor allem die seiner Meinung nach viel zu blasse Darbietung von Richard Beymer als Tony sauer auf. Der Schauspieler selbst stimmte später sogar in die Kritik ein: Beymer fand, dass seiner Interpretation des Jets-Mitbegründers die nötigen Ecken und Kanten abhandengekommen seien.

    Weniger Liebesgeschichte, mehr Gesellschaftskritik

    Speziell diesem Kritikpunkt nehmen sich Kushner und Spielberg an: In der Neuauflage wird Tony explizit als Ex-Krimineller gezeichnet. Die Spannung entwickelt sich aus der Frage, ob er seinem Vorhaben, ein guter Mensch zu werden, tatsächlich treu bleiben kann – oder ob er sich von der Gangrivalität doch wieder zurück in den Abgrund ziehen lässt. Diese rauere Interpretation der Figur steht im Mittelpunkt einer umfassenden Schwerpunktverschiebung: Die Verfilmung von 1961 ist eine dramatische Liebesgeschichte mit gesellschaftskritischen Untertönen, die durch klare Figuren und eine stilisierte Ästhetik die blitzartig alles auf den Kopf stellende Wirkung des Verliebtseins zelebriert. Kushner und Spielberg liefern hingegen ein Musical-Drama, bei dem die Liebesgeschichte vor allem als Triebfeder für die gesellschaftskritische Dimension der Erzählung fungiert.

    Besonders dramatisch geraten sind so etwa die Szenen zwischen Tony und seiner Arbeitgeberin Valentina (Original-Star Rita Moreno), einer puerto-ricanischen Witwe, die das Geschäft ihres verstorbenen „Gringo“-Mannes weiterführt: In diesen Passagen entsteht ein komplexes Spannungsgefüge zwischen Valentina als Autoritätsperson und Zielscheibe rebellischen Aufbegehrens. Sie sprechen Bände darüber, welche Hürden sie als Einwanderin ihr Leben lang nehmen musste, nur um von Tony und den Jets irgendwann ernstgenommen zu werden…

    Tony ist sehr viel komplexer und schroffer angelegt als im Original - leider bleibt Ansel Elgort in der Rolle aber ziemlich blass.

    Allerdings verursacht die neue Schwerpunktsetzung in der Praxis auch Probleme: So bleibt Ansel Elgort in der Rolle des Tony enttäuschend blass. Anders als noch in Edgar Wrights „Baby Driver“ versprüht der Mime in „West Side Story“ nicht genug jener unschuldig-jugendlichen Energie, die Maria ihm als Herzensgüte auslegt. Auch vermag er es nicht, die verborgenen charakterlichen Abgründe Tonys mit einer solchen Intensität zu vermitteln, wie es die dramatischsten Sequenzen des Films eigentlich verlangen.

    Bei Maria verhält es sich übrigens genau entgegengesetzt: Mit Rachel Zegler präsentiert uns Spielberg einen künftigen Superstar in der weiblichen Hauptrolle. Die bald auch in „Shazam! 2“ auftretende Jungschauspielerin hat eine magnetische Ausstrahlung und eine wundervolle Singstimme. So holt sie das absolute Maximum aus einer unterentwickelten Rolle heraus. Denn anders als Tony wird Marias Charakter nicht auf nennenswerte Weise komplexer als im Original skizziert. So bleibt ausgerechnet die puerto-ricanische Einwanderin, die sich in einen weißen Ex-Kriminellen verliebt, auf den Status einer unschuldigen Schönheit reduziert – und das, obwohl Kushner und Spielberg doch gerade die sozialen Hintergründe genauer zu beleuchten versuchen.

    Die Musical-Nummern reißen mit

    Dabei bringt Marias Zwickmühle zwischen naiver Liebe, familiärer Bande und gesellschaftlichen Pflichten im Schlussdrittel deutlich mehr dramatisches Potential mit – da hätte man fast den radikalen Entschluss fassen können, statt den Jets diesmal allgemein die Sharks stärker in den Fokus zu stellen. Zudem stellt man sich über weite Strecken die Frage, was Maria überhaupt an Tony findet – während das im Original sofort zu spüren war. Trotzdem fegen die Gesangs- und Tanzszenen ohne nennenswertes Gerumpel über diese erzählerischen Unebenheiten hinweg – schließlich inszeniert Spielberg die Musical-Passagen mit einem fast schon unverschämten Selbstbewusstsein sowie einer verschmitzten Leichtigkeit, als hätte er in seiner inzwischen mehr als 50-jährigen Regiekarriere nie etwas anderes getan.

    Ganz egal ob große Ensemblenummern oder intime Gesangsduette – die dreifach oscargekrönte Regielegende verleiht ihnen gleichermaßen mitreißende Vitalität und dramatische Schwere. Dabei verneigt er sich zwar spürbar vor dem Goldenen Zeitalter des Kinomusicals – hat aber zugleich auch ein untrügliches Verständnis dafür, mit welchen heutigen Mitteln sich die klassischen Techniken noch erweitern lassen. Das bedeutet etwa, dass Spielberg die Tänze zwar wiederholt für lange Strecken in Totalen und Halbtotalen zeigt, um – ganz klassisch – die gesamte Körperarbeit der Tanzenden einzufangen und die Choreografie in ihrer Gesamtheit zu vermitteln. Zugleich sorgt eine deutlich dynamischer geführte Kamera für eine Abgrenzung vom Musicalerbe – während die 1961er Version wie ein „theatraler Traum“ anmutet, wirkt Spielbergs Inszenierung trotz Gesang und Tanz viel realitätsnäher. Die überdetailliert rekonstruierten historischen Kulissen und Kostüme passen perfekt in diesen Balanceakt.

    Rachel Zegler als Maria ist DIE Entdeckung des Films!

    Spielbergs zweifach oscarprämierter Stamm-Kameramann Janusz Kamiński („Schindlers Liste“) verleiht dem Geschehen eine betörende Eleganz – sowie eine ästhetische Kohärenz, auf die das Original noch bewusst gepfiffen hat. Während damals noch urbane Straßen-Sequenzen mit bühnenhaft-stilisierten Schauplätzen kollidierten, gelingt Kamiński ein echtes Kunststück: Die betongrauen, sandig-staubigen Schutthalden, Baustellen und zugepflasterten Parks, durch die wir im soghaft-schwindelerregenden Intro schweben, wirken tatsächlich wie aus derselben Welt wie die sonnendurchfluteten, kontrastreicheren Indoor-Szenen. Das macht das Hinabtauchen in die Geschichte deutlich leichter.

    Musikalisch geht Spielberg derweil keine Experimente ein: Zwar wird die Reihenfolge einiger Songs verändert, an ihrem Klang wird allerdings nur minimal gefeilt. Ob Komponist David Newman und Dirigent Gustavo Dudamel bei ihrer Adaption der Musikstücke zu nah an den Arrangements des Originals geblieben sind oder ob dieser „Was nicht kaputt ist, muss man nicht reparieren“-Ansatz genau richtig war, bleibt am Ende reine Geschmackssache. So oder so wird es wohl nur wenige Musicalfans geben, die den einen „West Side Story“-Soundtrack lieben, den anderen aber ablehnen – dafür sind sie sich am Ende doch zu ähnlich. Bernstein wäre womöglich wieder enttäuscht, Fans des ersten Films werden sich dagegen über den Wiedererkennungswert freuen…

    Fazit: Auf der handwerklichen, choreographischen und musikalischen Ebene ist „West Side Story“ in jeder Hinsicht ein Triumph! Aber zwei Schwächen bringen Spielbergs „West Side Story“ zumindest zwischendrin ins Straucheln: Ansel Elgort spielt die stark aufgeraute männliche Hauptrolle ziemlich blass, während Rachel Zegler mit großer Passion das Maximum aus einem Part herausholt, der auch in der Neuauflage nicht tiefer geht als im Original. Am puren Mitreißfaktor des Films ändert das aber nur wenig.

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