Müssen Behinderte erst einen Raubüberfall anzetteln, bis sie ernst genommen werden? Dieser oder ein ähnlicher Satz könnte in dem Exposé gestanden haben, mit dem das Autoren- und Regie-Duo Stefan Hillebrand und Oliver Paulus den Spielfilm „Vielen Dank für Nichts“ auf den Weg gebracht hat. Ein Film über eine gar nicht so unmögliche Liebe? Eine Inklusions-Komödie? Oder doch ein Drama? Wahrscheinlich gibt der modische Begriff der „Dramödie“ das beste Label ab, wenn offenes oder heimliches Entzücken darüber herrscht, dass an den Rollstuhl gefesselte Jugendliche erfolgreich eine Straftat begehen können. Für eine Satire ist die absurde Umkehrung moralischer Werte großartiger Stoff – um Sensibilität zu wecken, taugt sie wenig, erst recht nicht, um hoffnungsfroh zu stimmen.
Valentin (Joel Basman) ist verbittert, fühlt sich um das Leben selbst betrogen. Seit einem Snowboard-Unfall sitzt der Heranwachsende im Rollstuhl. Die Wut über sein Unglück lässt er an seiner Mutter aus. Die weiß sich nicht mehr zu helfen und quartiert ihn in einer Pflegeeinrichtung mit Theaterprojekt in Südtirol ein. Theaterregisseur Antonio Viganò (der sich selbst spielt) kann Valentin allein nicht aus der Reserve locken. Aber mit von der Partie ist ja die junge blonde Sozialpädagogin Mira (Anja Unterberger). Sein Vorhaben, Mira für sich zu gewinnen und sie eventuell sogar deren schnöseligem Freund Marc (Richardo Angelini) auszuspannen, bringt ihm die Freundschaft der anderen Rollifahrer Lukas (Nikki Rappl) und Titus (Bastian Wurbs) ein. Gemeinsam planen sie, die Tankstelle zu überfallen, in der Marc jobbt, und schrecken auch vor Schusswaffengebrauch nicht zurück.
„Vielen Dank für nichts“ setzt unbarmherzig ein. Aus ohnmächtigem Zorn über das eigene Schicksal attackiert ein glänzend rücksichtsloser Joel Basman („Löwenzahn - Das Kinoabenteuer“) als Valentin den Zimmergenossen Titus, Lukas und die anderen mit Essensbeilagen und wüsten Beschimpfungen. Dass die Physiotherapeutin bemerkt, er habe ja noch muskulöse Beine, führt ihm sein Elend nur noch drastischer vor Augen. Ohne es zu wollen, ist Titus vielleicht am grausamsten. Als Valentin ihn mit allem möglichen Zeugs im gemeinsamen Zimmer bewirft, setzt er ihm entgegen: „Stopp mal, mein Freund – was kann ich dafür, dass du auch in einem solchen Scheiß-Spasti-Apparat steckst?!“ Das sind Begrüßungsworte an einen Mit-Verdammten, als wäre der Rollstuhl ein Sarg für Lebende. Und als sie bei einem Ausflug in die Stadt von rechtsradikalen Jugendlichen gehänselt und misshandelt werden, kann man kaum anders, als mit den Opfern zu resignieren.
Im Bemühen, schwere Behinderungen schonungslos darzustellen, im berechtigten Anliegen, die Behinderten nicht als Gutmenschen zu stilisieren und mit dem ehrenvollen Ansinnen, ihre Handikaps nicht auszubeuten, graben die Filmemacher für Valentin das emotionale Loch, in dem er steckt, sehr tief. Zu tief, als dass sie ihm da überzeugend wieder heraushelfen könnten. Die Sentimentalität der Love-Story verfängt kaum. Es wird nicht ersichtlich, was der doch ein ganzes Stück jüngere, bengelhafte Valentin der reiferen Mira bieten könnte. Die Paar-Konstellation bleibt abstrakt. Romantisierte Kriminalität kann zünden, wie Liebeskino-Altmeister Claude Lelouche in Streifen wie „Ein glückliches Jahr“ und „And Now... Ladies & Gentlemen“ immer wieder gelehrt hat. Aber sie wird in „Vielen Dank für Nichts“ unfreiwillig moralisch zweideutig statt phantasievoll ausgemalt.
„Vielen Dank für Nichts“ ist zudem nicht frei vom Hauch eines bloß plakatierten Wohlwollens. Dass der sprachbehinderte, aber intelligente Lukas seinem Vater viel zu sagen hat, wie Miras Vorgesetzte Katja (Isolde Fischer) meint, will man glauben. Nur wird sich keine Mühe gemacht, das zu zeigen. Die Sicht der Protagonisten auf die Welt der auf sie Herabschauenden einzunehmen, wird meistens ebenso vermieden wie ein geduldiges Verweilen auf den spastisch verzerrten Gesichtern. Aber nur so könnte das oft übersehene Mitmenschsein hervortreten und Verachtung überwunden werden. „Vielen Dank für nichts“ bietet zudem auch scheinbar keinerlei Zukunftsperspektive.
Fazit: In der Frustbeschreibung ergreifend, aber ohne Lichtblick eines Auswegs. So leisten die halbherzig inszenierte Liebelei und der Eskapismus in „Vielen Dank für Nichts“ der Anerkennung der Bedürfnisse und Wünsche von Schwerbehinderten eher einen Bärendienst.