Tommy Wiseaus „The Room“ ist nicht nur deshalb der wohl einzige echte Kultfilm des neuen Jahrtausends, weil er so unfassbar schlecht ist, sondern weil er einfach nur unfassbar ist. Nach dem Rollen des Abspanns kann man sich schlicht nicht vorstellen, was für ein Mensch diesen Film auf welche Art gedreht haben könnte – wie zum Teufel kann so etwas wie „The Room“ überhaupt existieren? Sich „The Room“ anzusehen, ist schlichtweg das ultimative WTF-Erlebnis. Selbst heute, 14 Jahre nachdem „The Room“ seinen weltweiten Mitternachtsvorstellungs-Siegeszug als „schlechtester Film aller Zeiten“ angetreten und Wiseaus Co-Star und damaliger Mitbewohner Greg Sestero ein Buch über die Dreharbeiten veröffentlicht hat, sind wir zumindest in Bezug auf den Macher noch immer kein Stück schlauer: Wie alt ist Tommy Wiseau? Woher stammt sein Akzent? Woher hatte er das ganze Geld für den Film und seine Wohnungen? Wiseau ist eine vollkommene Kunstfigur, die aber zugleich absolut nichts Verfälschtes oder Berechnendes an sich hat. Und so versucht James Franco in seinem extrem unterhaltsamen „The Disaster Artist“ über die Entstehung von „The Room“ auch gar nicht erst, diesem sowieso nicht zu greifenden Enigma mit irgendwelchen psychologisierenden Erklärungsmustern auf den Grund zu gehen. Gut so!
Als Tommy Wiseau (James Franco) im Jahr 1998 im Theaterunterricht in San Francisco eine Solo-Szene aus Tennessee Williams „Endstation Sehnsuch“ aufführt, wird er für seine von ihm zwar vollkommen ernstgemeinte, aber einfach nur zügellos-idiotisch rüberkommende Darbietung von der Schauspiellehrerin Jean Shelton (Melanie Griffith) völlig zu Recht runtergemacht. Der eingeschüchterte 19-Jährige Greg Sestero (Dave Franco) ist hingegen total begeistert von Tommys extrovertierter Art und fragt ihn, ob sie für die nächste Stunde nicht eine gemeinsame Szene vorbereiten könnten – der Startschuss für eine bizarre Freundschaft, die schon nach wenigen Monaten dazu führt, dass die beiden gemeinsam nach Los Angeles ziehen, um dort endlich den Durchbruch als Schauspieler zu schaffen. Als das nicht klappt, beschließt Tommy kurzerhand, seinen eigenen Film mit dem Titel „The Room“ zu drehen – zwar mit einem inkohärenten selbstgeschriebenen Skript und sich selbst in der Hauptrolle, aber auch mit einem Millionenbudget, von dem niemand weiß, wo er die ganze Kohle eigentlich herhat…
Wir haben „The Disaster Artist“ im Londoner Prince Charles Cinema gesehen, wo „The Room“ mehrmals im Jahr für eine Woche jeden einzelnen Tag gezeigt wird – und zwar stets in Anwesenheit von Tommy Wiseau und Greg Sestero (Karten für die Vorstellungen sind meist schon Monate im Voraus ausverkauft). Und immer, wenn in „The Disaster Artist“ Szenen aus „The Room“ nachgespielt werden, haben selbst in unserer Vorstellung an einem frühen Dienstagnachmittag um uns herum plötzlich alle Zuschauer auswendig mitgesprochen – und das war nie ein herablassendes Darüber-lustig-machen, sondern vielmehr etwas unheimlich Liebevolles. „The Room“ ist Kult, weil er eben kein lieblos hingerotzter Schrott ist, sondern spürbar das ganze Herzblut seines Schöpfers drinsteckt (der nur eben leider Nullkommanull Talent fürs Filmemachen oder die Schauspielerei mitbringt). Und deshalb ist James Franco auch der absolut richtige Regisseur und Hauptdarsteller für „The Disaster Artist“ – immerhin hat er allein im Jahr 2017 16 Filmrollen und eine Serien-Hauptrolle gespielt, 21 Projekte vom Trash-Short bis zum Oscar-Prestigeobjekt produziert, bei zwei Spielfilmen, einem Kurzfilm und zwei Serien-Episoden Regie geführt und nebenbei auch noch Bücher veröffentlicht und an Kunstinstallationen gearbeitet.
Das ist für Franco ein normales Jahr, für 2018 ist bereits ähnlich viel angekündigt – und so versteht Franco vielleicht nicht Wiseau, das tut sowieso keiner, aber er versteht zumindest dessen von außen betrachtet ziemlich naiven und mitunter schon verzweifelt anmutenden Drang, Dinge notfalls einfach anzupacken und loszulegen. Das Ergebnis ist ein völlig absurdes Film-Making-of, bei dem man Wiseau immer die Daumen drückt (selbst wenn man weiß, was am Ende rausgekommen ist). Vergleichbar ist das Ganze am ehesten mit einer durchgeknallten Hinter-den-Kulissen-Komödie à la „Living In Oblivion - Total abgedreht“, nur dass das eben alles echt passiert ist (selbst wenn das erste Testpublikum von „The Disaster Artist“ offenbar schlicht nicht glauben wollte, dass der Film auf wahren Tatsachen beruht). So beharrt Wiseau nicht nur auf das Anheuern einer teuren professionellen Crew für die Verfilmung seines inkohärenten Skripts, aus irgendeinem unerklärlichen Grund besteht er auch darauf, selbst Szenen an einer stinknormalen Straßenecke oder auf einem leeren Hausdach unbedingt vor einem Green Screen drehen zu wollen. Nebenbei wird zwar erklärt, warum einige der besonders abseitigen Szenen überhaupt im Film gelandet sind (etwa das Footballspiel im Park), aber darüber hinaus wird auf die übliche Biopic-Küchenpsychologie dankenswerterweise verzichtet - nein, es gibt nicht wie in „Walk The Line“ & Co. das eine Ereignis in Wiseaus Kindheit, das alles fein säuberlich erklärt.
Natürlich weiß Franco um die Absurdität von Wiseaus Auftreten, aber obwohl einzelne Szenen - wie die Vorsprechsequenz aus dem Trailer - für sich durchaus den Anschein eines karikaturesken Sketches haben können, spricht aus „The Disaster Artist“ vor allem eine tiefe, ehrlich empfundene Bewunderung. Der oscarnominierte Superstar James Franco macht einen Film über den womöglich schlechtesten Regisseur und Schauspieler aller Zeiten – und das Ergebnis fühlt sich nie an, als ob da jemand runterschaut, sondern ganz im Gegenteil so, als ob ein junger Filmemacher hier ein Biopic über sein größtes Idol inszenieren durfte. Zum Glück ist das dazu auch noch verdammt gut geworden und so ist „The Disaster Artist“ nicht nur für „The Room“-Jünger unbedingt sehenswert - und da haben wir die starke Leistung von Dave Franco („Die Unfassbaren“) sowie die einfach nicht enden wollende, nie nur auf den billigen Den-kenn-ich-doch-Gag abzielende Gaststar-Parade (unter anderem Seth Rogen, Zac Efron, Josh Hutcherson) noch nicht mal erwähnt.
Fazit: Tommy Wiseau ist mit seinem Aussehen, seiner Art zu sprechen und als Mastermind hinter „The Room“ so ziemlich das leichteste Ziel überhaupt, um sich über ihn lustig zu machen. Aber auch wenn „The Disaster Artist“ ein oft urkomischer Film ist, haut James Franco seinen Protagonisten eben nicht in die Pfanne, sondern setzt ihm ein oft absurdes, mitunter berührendes, immer extrem kurzweiliges filmisches Denkmal.
PS: Beim Abspann unbedingt sitzenbleiben! Tommy Wiseau hat sich nämlich vertraglich einen Cameo-Auftritt in „The Disaster Artist“ zusichern lassen. Und weil Wiseau nun mal nicht aus seiner Haut kann, ist auch der trotz tagelanger Vorbereitung absolut furchtbar. Wiseau hat nicht nur vorab James Franco immer wieder in Mails gefragt, ob er sich einen Schnurrbart anmalen (!) soll oder nicht, er hat sich auch Method-Acting-mäßig eine umfassende Charakterhistorie für sein nur eine Minute langes Gastspiel (als Zufallsbekanntschaft auf einer Party) zurechtgelegt. Die Macher haben ihn nach dem Dreh zwar gebeten, die Szene doch rausschneiden zu dürfen, aber Wiseau blieb hart (und forderte stattdessen vom Studio sogar eine persönliche Awards-Kampagne). Aber in den Film konnten die 60 Gaga-Sekunden natürlich auch nicht – also sind sie jetzt ebenso kommentar- wie sinnlos an den Film angehängt. Grandios genial.
Und für alle, die jetzt ganz am Ende des Textes noch immer nicht wissen, wovon wir hier eigentlich die ganze Zeit schwafeln, gibt es hier noch den Trailer zu „The Room“ – der liefert zwar nicht mehr als einen ersten Eindruck des ganzen Desasters, aber immerhin: