„Rock ’n’ Roll bedeutet Risiko. Du riskierst, dich lächerlich zu machen!“ heißt es in „Sing Street“, dem neuen Film von John Carney, der sich nach dem oscarprämierten „Once“ (für den Originalsong „Falling Slowly“) und „Can A Song Save Your Life?“ erneut der unbedingten Leidenschaft für die Musik widmet, sich dabei aber alles andere als lächerlich macht. Nach seinem Ausflug nach New York mit den Hollywoodstars Keira Knightley und Mark Ruffalo kehrt der Regisseur nun zu seinen irischen Wurzeln zurück und erzählt eine erfrischende Coming-of-age-Geschichte über künstlerische Selbstfindung und große Träume im Angesicht widriger Lebensumstände im Dublin der 80er Jahre. Mit einem tollen unverbrauchten Cast, beliebten Eighties-Hits und neuen schmissigen Ohrwürmern, mit tonnenweise Haarspray, dicken Schulterpolstern und sehr viel Herz wird „Sing Street“ zum Äquivalent eines richtig guten Popsongs: leicht zugänglich, lebendig und mitreißend. Da dreht man gerne etwas lauter auf. Und drückt anschließend auf Repeat.
Irland in den 1980ern. Der 15-jährige Conor (Ferdia Walsh-Peelo) hat es nicht leicht: Zum einen tut er sich schwer, Anschluss in seiner neuen Schule zu finden, auf die er von der Privatschule wechseln musste, um seinen Eltern (Maria Doyle Kennedy und Aiden Gillen) Geld zu sparen. Zum anderen hat er gerade die hübsche Raphina (Lucy Boynton), die von einer Karriere als Model träumt, überredet, im neuen Musikvideo seiner Band mitzuspielen. Blöd nur, dass Conor weder eine Band hat, noch ein Instrument spielen kann. Davon will er sich indes nicht abhalten lassen und es gelingt ihm schließlich, einige musikaffine Mitschüler zu überreden, mit ihm eine Schulband zu gründen. Einer von ihnen ist Eamon (Mark McKenna), der nicht nur ein Wohnzimmer voller Instrumente zu bieten hat, sondern sich auch noch als begnadeter Songschreiber entpuppt, mit dem Conor gemeinsam Texte und Melodien austüfteln kann. Unter Anleitung seines großen Bruders Brendan (Jack Reynor) findet Conor im Musizieren nach und nach seine Berufung. Und während Sing Street, so der Name der Band, sich dadurch tatsächlich zum veritablen Pop-Act entwickelt, rückt auch das Herz der anfangs unerreichbaren Raphina bald in greifbare Nähe…
Vom ersten, magischen Moment des Kennenlernens zwischen Conor und Raphina, der in der schnöden außerfilmischen Wirklichkeit wohl in einer astreinen Abfuhr für die Hauptfigur geendet hätte, bis hin zu den etwas zu radiotauglichen Eigenkompositionen, die der eingangs eher unmusikalische Conor schon nach kurzer Zeit zum Besten gibt: Gewisse Handlungselemente des Films können zweifelsohne als unrealistisch bezeichnet werden, wobei es gerade die teils unverblümte Romantisierung ist, die „Sing Street“ so mitreißend macht. Regisseur und Drehbuchautor John Carney, der die Inspiration für seinen Film in den Erfahrungen seiner eigenen Kindheit und Jugend fand, scheut sich nicht, nostalgischen Gefühlen und idealisierenden Erinnerungen nachzugeben, kehrt aber auch die Schattenseiten des Lebens im Dublin der 80er (Rezession, Armut, Zukunftsängste) nicht unter den Tisch. In der von Jack Reynor („Transformers 4: Ära des Untergangs“) fantastisch gespielten Figur von Conors älterem Bruder Brendan sind beide Aspekte vereint: Er dient Conor als euphorischer Mentor, der ihn ständig dazu anhält, seine Träume zu verwirklichen, hat seine eigenen Wünsche und Hoffnungen aber schon längst aufgegeben. Es sind glaubhafte, teils tragische Figuren wie Brendan, die dafür sorgen, dass „Sing Street“ nie die Bodenhaftung verliert.
Begleitet wird die gefühlvolle Geschichte von einem grandiosen Eighties-Soundtrack, der einen musikalischen Schnelldurchlauf durch die Zeit bietet, als Duran Duran, Hall & Oates und The Cure aus dem Radio dröhnten. Conors Band macht sich im Laufe des Films nach und nach die verschiedenen Stile dieser Größen zu eigen, sodass die Musik immer abwechslungsreich bleibt. Die neu komponierten Originalsongs stammen dabei aus der Feder von Regisseur John Carney und Songwriter Gary Clark (Ex-Mitglied der Bands Danny Wilson und Transister), ihr bester Beitrag ist die von Hall & Oates inspirierte Up-Tempo-Nummer „Drive It Like You Stole It“, die in einer amüsant choreographierten Traumsequenz mit Highschool-Prom-Anlehnung zum echten Knüller gerät. Zu verdanken ist das nicht nur dem musikalischen, sondern auch dem schauspielerischen Talent von Hauptdarsteller Ferdia Walsh-Peelo, der in „Sing Street“ ein eindrucksvoll-charismatisches Debüt gibt. Überhaupt begeistert das gesamte junge Ensemble des Films: Den pubertierenden Bandmitgliedern beim Finden einer eigenen künstlerischen Stimme und bei der Verwirklichung ihrer Träume zuzuschauen, macht großen Spaß und lässt „Sing Street“ zu einem der Feel-Good-Highlights des Kinojahres werden.
Fazit: Mit seinem entwaffnend-mitreißenden Musikfilm „Sing Street“ beweist „Once“-Regisseur John Carney erneut, dass es sich bei ihm nicht um ein One-Hit-Wonder handelt.