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    20.000 Days on Earth
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    20.000 Days on Earth
    Von Katharina Granzin

    Wenn der Soundtrack vor dem Film schon da ist, hat man es als Filmemacher natürlich einerseits leichter. Andererseits muss man dann umso mehr in der Lage sein, sich filmisch und atmosphärisch auf genau diese Musik einzulassen. Das ist dem britischen Künstlerpaar Iain Forsyth und Jane Pollard mit ihrem filmischen Nick-Cave-Porträt „20.000 Days on Earth“ definitiv gelungen. In ihrer musikalisch und visuell inspirierten Hommage zeigen sie einen Nick Cave, in dessen Person ein Künstler-Ich, ein Rockstar-Ich und ein privates Ich eine offenbar – das jedenfalls ist der vermittelte Eindruck – so friedliche wie fruchtbare Symbiose pflegen. Die Produktion des jüngsten Albums von Nick Cave & The Bad Seeds, „Push the Sky Away“, dient als Aufhänger und Rahmen – und ist nicht zuletzt auch der Anlass gewesen, aus dem sich das Projekt entwickelte. Dabei engagierte Cave, der Forsyth und Pollard von anderen Projekten kannte, die Regisseure ursprünglich nur, um während der Studioaufnahmen Promo-Material für das Album zu drehen, und war so angetan von ihrer Arbeit, dass er ihnen anbot, die Idee weiterzutreiben und einen Kinofilm daraus zu machen.

    „20.000 Days on Earth“ ist dabei kein reiner Dokumentarfilm geworden. Forsyth und Pollard verfolgen einen anderen kreativen Ansatz. Zwischen den in Musik schwelgenden Passagen, in denen man die Band konzentriert bei der Arbeit erlebt, ziehen sich leitmotivisch wiederkehrend bestimmte Schlüsselszenen durch den Film, Szenen, die zwar gestellt wurden, deren Protagonisten aber echt und deren Dialoge nicht abgesprochen sind. Am wichtigsten ist dabei wohl der Dialog Caves mit dem Psychoanalytiker Darian Leader, der eigens zu dem Filmprojekt hinzugezogen wurde, um sich mit dem Musiker zu unterhalten. Im Gespräch mit ihm erzählt Cave eingehend von seiner Kindheit und Jugend; auch der für ihn sehr schmerzhafte frühe Tod des Vaters kommt zur Sprache. In weiteren Spielszenen sitzt der Musiker im Auto. Mitunter ist er allein, meist aber hat er neben oder hinter sich vertraute Weggefährten, die in seiner musikalischen Laufbahn eine Rolle gespielt haben. Neben Kylie Minogue, mit der Cave 1995 einen Song aufnahm und damit den größten kommerziellen Single-Erfolg seiner Karriere erlebte, ist auch Blixa Bargeld dabei, der zwanzig Jahre als Gitarrist bei Nick Cave & The Bad Seeds fungierte. In diesen scheinbar beiläufigen Autogesprächen, sowie in den Gesprächen mit dem Bandkollegen und Freund Warren Ellis an dessen Küchentisch, kommen wichtige Lebensstationen und –themen zur Sprache.

    Nun steht ein filmisches Porträt, das der Porträtierte letztlich selbst in Auftrag gegeben hat, erst einmal in Verdacht, ein reines, unkritisches Abfeiern des Protagonisten zu sein. Forsyth und Pollard könnte auch nichts ferner liegen, als eine Entzauberung der dunkel-genialischen Seiten des Nick Cave vorzunehmen. „20.000 Days on Earth“ ist tatsächlich ein Film, in dem ein Künstler, der auf seine Wirkung sehr bedacht ist, sich exakt so darstellen darf, wie er es möchte. Aber bei seiner Selbstdarstellung wirkt dieser Nick Cave so authentisch, dass man sofort glauben möchte, dass er tatsächlich so ist: ein unheimlich charismatischer Typ, dabei sensibel und kreativ, der die dunklen Seiten in sich erfolgreich bezwungen hat oder mit Hilfe seiner Kunst zu bannen weiß; ein guter Kumpel für Bandkollegen und Freunde; ein glühender Liebender, wenn es um seine Frau Susie geht; und ein lässiger Kuschelpapa, der mit den beiden nett aussehenden Zwillingssöhnen vor dem Fernseher Pizza isst.

    Natürlich ist das nicht die ganze Wahrheit, aber das ist erstaunlich egal, weil in diesem Film Musik, Bild und Text eine so hervorragende Einheit bilden, dass man sich beim Verlassen des Kinos sogar so eigenartig inspiriert fühlt, dass man am liebsten selbst einen Song schreiben würde. Nick Cave übrigens tippt – jedenfalls in diesem Film – seine Texte auf einer Schreibmaschine, und sein Anrufbeantworter ist ein Modell mit Tonbandkassette. Forsyth und Pollard filmen solche Details mit einer liebevollen ästhetischen Sorgfalt, die sich durch den gesamten Film zieht. Ganz besondere visuelle Aufmerksamkeit kommt dem Himmel über Brighton zu, wo der Künstler seit vielen Jahren wohnt. Der Song- und Albumtitel „Push the Sky Away“ findet in diesem Zusammenhang eine überraschende Erklärung: Als er nach England gezogen war, erzählt Cave, habe ihn als Australier eine tiefe Verzweiflung über das schlechte Wetter ergriffen. Um sie zu bezwingen, fing er an, ein ausführliches Wettertagebuch zu führen. Und mit der Zeit sei eben auch das zu einer ernsthaften kreativen Beschäftigung geworden.

    Fazit: Atmosphärisch stimmiges, filmisch schön komponiertes Künstlerporträt über Nick Cave mit Musik aus dessen Album „Push the Sky Away“.

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