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    Pierrot Lunaire
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Pierrot Lunaire
    Von Christian Horn

    „Dreimal sieben Gedichte aus Albert Girauds ‚Pierrot lunaire‘“ – schon der offizielle Titel des 1913 uraufgeführten musikalischen Melodramas von Arnold Schönberg ist sperrig. In seinem innovativen Werk arrangiert der österreichische Komponist 21 Gedichte des belgischen Lyrikers Albert Giraud für Sprechstimme und Kammerensemble. Mit seiner atonalen Musik erhitzte das Stück seit seiner Uraufführung die Gemüter das Publikum. Dass nun ein so streitbarer Filmemacher wie der aus Toronto stammende Bruce LaBruce den Stoff für das Kino bearbeitet, ist also überaus passend. Mit Filmen wie „The Raspberry Reich“ oder „Otto; or Up with Dead People“ stieg LaBruce zu einer Ikone des Queer Cinema auf und ging mit seinen provozierenden Werken, in denen er oft explizite Sexualität zeigt, keiner Kontroverse aus dem Weg. In seinem Experimentalfilm „Pierrot Lunaire“ (so auch der gebräuchliche Titel von Schönbergs Komposition), der mit seiner Laufzeit von 51 Minuten Laufzeit an der Grenze zwischen Kurz- und Langfilm liegt, interpretieren LaBruce und der Dirigent Premil Petroviç die Musik des Originals neu und erzählt dabei in rätselhaften bis surrealen Bildern von den Nöten eines Transsexuellen.

    Berlin im Jahr 1978: Pierrot (Susanne Sachsse) ist als Frau geboren worden, fühlt sich aber als Mann. Mit seiner neuen Eroberung, der jungen Columbine (Paulina Bachmann), knutscht er wild im Auto. Die Liebhaberin weiß zunächst nicht, dass Pierrot weiblich ist, reagiert aber keineswegs abweisend, als sie davon erfährt. Columbines Vater (Boris Lisowski) verbietet ihr jedoch den Umgang mit Pierrot. Also durchstreift dieser das Nachtleben der Stadt, um den Vater der Geliebten von seiner Männlichkeit zu überzeugen und opfert schließlich auf einem Kirchenaltar seine Brüste. Der Experimentalfilm läuft erzählerisch allerdings keineswegs so gradlinig ab, wie diese Inhaltsangabe vermuten lassen könnte. Stattdessen modelliert Bruce LaBruce 21 Situationen (eine für jedes vertonte Gedicht), die oft fast schon an Performances erinnern und vornehmlich auf eine atmosphärische Ebene abheben.

    „Pierrot Lunaire“ ist deutlich von der Stummfilmästhetik aus der Entstehungszeit von Schönbergs Stück geprägt. Texttafeln informieren über Handlung und Dialoge, während einzig Pierrots Gesangsvortrag mit der begleitenden Musik zu hören ist. Nur gelegentlich setzt LaBruce in dem ansonsten schwarzweißen Film Farbe ein, um Lichtreflexe und andere visuelle Effekte hervorzuheben. Auf der musikalischen Ebene, die in „Pierrot Lunaire“ freilich die entscheidende Rolle spielt, treffen die von Hauptdarstellerin Susanne Sachsse vorgetragenen deutschsprachigen Chansons (basierend auf den Giraud-Texten) auf moderne Elektrobeats. Lässig bringt LaBruce unterschiedliche Stilelemente und Einflüsse zusammen und verbindet sie zu einer assoziativen Erzählung mit dem zentralen Thema Transsexualität. Er bebildert Pierrots (sexuelle) Wunschvorstellungen deutlich mit viel (männlicher) Nacktheit und lasziven Tanzeinlagen, wobei er von einer Onanie-Szene abgesehen nicht ins Pornografische übergeht. Dem rauschhaften Nachtleben stellt er zugleich die schwierige Realität eines Manns im Körper einer Frau gegenüber.

    Fazit: Symbolisch aufgeladener Experimental- und Musikfilm von Underground-Ikone Bruce LaBruce.

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