Lars Eidinger („Was bleibt“) und Devid Striesow („Transpapa“) haben in der jüngeren Vergangenheit durchaus den Krimi am Sonntagabend mitgeprägt: Während Striesow seit 2013 als Chaos-Kommissar Jens Stellbrink den Saarbrücker „Tatort“ aufmischt, mimte Eidinger zuletzt eine transsexuelle Tänzerin in „Polizeiruf 110: Der Tod macht Engel aus uns allen“. In Krimis spielt Eidinger aber oft einen finsteren Bösewicht: Nach einem denkwürdigen Auftritt als Kokon-Killer im Ludwigshafener „Tatort: Hauch des Todes“ verkörperte der Theaterstar 2012 im Kieler „Tatort: Borowski und der stille Gast“ einen mordenden Postboten – und war einer der ganz wenigen Täter, der den „Tatort“-Kommissaren am Ende durch die Lappen ging. Auch in dem auf einer wahren Begebenheit beruhenden TV-Drama „Der Prediger“ von Thomas Berger übernimmt Eidinger wieder seine Paraderolle: Er spielt einen verurteilten Mörder, der hinter Gittern seinen Glauben wiederfindet und sich dazu entschließt, Theologie zu studieren. Sein charismatischer Auftritt ist die größte Stärke eines ansonsten recht harmlosen Kirchen- und Justizdramas, das trotz seiner interessanten Ausgangslage zu selten an Fahrt aufnimmt.
Darf ein verurteilter Mörder Priester werden? Vor dieser Frage steht Ralf Remberg (Devid Striesow), Referent des einflussreichen Bischofs Blum (Erwin Steinhauer). Der inhaftierte Mörder Jan-Josef Geissler (Lars Eidinger) will hinter Gittern von Gott erleuchtet worden sein und nun Theologie studieren, um seine Erfahrungen nach der Haftentlassung an eine Gemeinde weiterzugeben. Aber ist die Kirche zu einem solchen Schritt bereit? Und sind dies wirklich Geisslers wahre Motive oder will er nur Sympathiepunkte sammeln? Sein Fall soll nämlich mithilfe von Rechtsanwalt Dieter Dorn (Alexander Held), der einen prestigeträchtigen Prozess wittert, neu aufgerollt werden. Geissler behauptet weiterhin, die junge Erwachsene Lisa Wagner nicht umgebracht zu haben. Für Wolfgang (Gerhard Liebmannn) und Christa Wagner (Caroline Ebner), die Eltern des Todesopfers, ist alles glasklar: Geissler ist ein manipulatives Monster, das unter keinen Umständen wieder auf freien Fuß gesetzt und schon gar nicht auf eine Kirchengemeinde losgelassen werden darf. Auch Witwer Rolf Geissler (Bernhard Schütz) hat den Glauben in die guten Absichten seines verurteilten Sohnes verloren. So liegt es allein an Remberg, der vor Ort von Pfarrer Klaus Spori (Götz Schubert) unterstützt wird, die Wahrheit herauszufinden...
Die Ausgangslage in „Der Prediger“ ist durchaus prickelnd: Kann die angestaubte Institution Kirche, die seit Jahrhunderten die Vergebung der Sünden predigt, tatsächlich einem verurteilten Mörder ein Theologiestudium ermöglichen und womöglich gar eine Tätigkeit als Prediger genehmigen? Eine interessante, provokative Frage – und in der Realität hat sich die wahre Geschichte, die Regisseur und Drehbuchautor Thomas Berger fürs Fernsehen adaptiert, über einen Zeitraum von fast 30 Jahren hingezogen. Eindeutig zu viele Dekaden für einen 90-minütigen Spielfilm – daher kürzt Berger den Stoff radikal und stutzt ihn dramaturgisch zurecht. Dies macht er geschickt, so dass man diese Kürzungen dem Film nie anmerkt, vor allem weil das verdichtete Geschehen nie konstruiert wirkt. Doch während in der ersten Filmhälfte vor allem die ausstehende Entscheidung des Bischofs die Handlung vorantreibt, drängt sich mit zunehmender Spielzeit eine ganz andere Frage in den Vordergrund: Ist der verurteilte Sträfling vielleicht gar kein Mörder?
Nach einer guten Stunde entwickelt sich „Der Prediger“ zu einem waschechten Justizdrama, das zwar mit einigen emotionalen Szenen vor Gericht aufwartet, eine knackige Schlusspointe aber vermissen lässt. Dabei kommt es nicht zum - bei dieser Schauspielerpaarung vielleicht von einigen erhofften -Psychoduell zwischen Eidinger und Striesow: Häftling Geissler und Referent Remberg diskutieren zwar kontrovers Glaubensfragen und falsche Vorurteile, begegnen sich in den eher sachlich ausfallenden Streitgesprächen aber selten auf Augenhöhe. Dafür ist Striesows Remberg als Figur einfach zu bieder und uninspiriert angelegt: Der zugeknöpfte Bischofsreferent muss in einem harmlosen Techtelmechtel mit der Prostituierten Sabine (Susanne Wolff), der Tochter seines vorübergehenden Gastgebers Franz Feininger (Johannes Herrschmann), gegen die eigene Oberflächlichkeit ankämpfen, lockert selbst Stunden nach Feierabend nicht den Krawattenknoten und wirkt beim Gläschen Weißweinschorle in einem Szeneclub vollkommen verloren, während Sabine enthemmt auf der Tanzfläche aufblüht.
Warum sich Thomas Berger überhaupt die Zeit für diese eher störenden als spannenden Handlungsschlenker nimmt, erschließt sich nur bedingt – eine konsequente Zuspitzung auf das große Finale hätte seinen Film vermutlich deutlich fesselnder gemacht. Auch die skurril anmutenden Männerszenen von Remberg und Pfarrer Spori nehmen immer wieder Tempo aus dem Geschehen und gipfeln am Ende gar in einem irritierenden Wiesen-Wettlauf in Unterhosen: „Tatort“-Kommissar Stellbrink lässt grüßen. So holt einmal mehr der großartig aufspielende Lars Eidinger, der aktuell wohl zu den talentiertesten deutschen Schauspielern zählt, die Kohlen aus dem Feuer. Man hätte ihm allerdings noch mehr Raum zur Entfaltung gewünscht: Lediglich in den Auftaktminuten und im Schlussdrittel darf Eidinger wirklich zeigen, was schauspielerisch in ihm steckt. Ansonsten ist ein Psychopathen-Blick für die Rolle als Mörder mit Predigtabsichten meist schon ausreichend.
Fazit: Trotz der guten Besetzung plätschert „Der Prediger“ über weite Strecken zu spannungsarm vor sich hin.