Ein kleiner Junge trifft auf einen älteren, mürrischen Mann – das Ende scheint offensichtlich: Sie werden sich näher kommen, die kindliche Unschuld wird die harte Schale des Alters knacken. In unzähligen Filmen erweicht ein kindliches Gemüt einen alten Menschen, der auf Grund seiner Erfahrungen verbittert ist, ein Beispiel mit Kultstatus ist „Der kleine Lord“ mit Alec Guinness. Auch „Someone You Love“, der neuen Spielfilm von Pernille Fischer Christensen („Eine Familie“), hat die Wandlung eines verhärmten Geistes zum Thema. Dabei erweckt der Protagonist aber im Gegensatz zu vielen Vorbildern den Eindruck, dass er keine Verantwortung übernehmen kann und auch am Ende nicht wird.
Der Däne Thomas Jacob (Mikael Persbrandt) ist ein erfolgreicher Singer-Songwriter, seine Wahlheimat schon lange Los Angeles. Nun kehrt er in sein Heimatland zurück, um ein neues Album aufzunehmen. Als seine Tochter Julie (Birgitte Hjort Sørensen) mit ihrem elfjährigen Sohn Noa (Sofus Rønnov) auftaucht, ist er wenig begeistert - und noch weniger, als er sich um Noa kümmern soll. Dann wird aus der lästigen, vorübergehenden Pflicht eine wesentliche Entscheidung, die Thomas nicht nur für sich selbst trifft. Er ist plötzlich mit allen möglichen Fragen konfrontiert, denen er sich sonst stets entzogen hat.
Schon die erste Begegnung der Hauptfiguren charakterisiert Einzelgänger Thomas perfekt: Als Noa seinen Opa wieder trifft, schleppt er einen Stapel CDs mit dessen Musik an, um ein Autogramm darauf zu erhalten. Mehr als seinen Namen will Thomas jedoch nicht schreiben, dabei wünscht sich sein Enkel eine persönliche Widmung. Thomas ist kein familiärer Typ, selbst zu seiner Tochter hat er keine Beziehung. Er war immer der Rockstar, der sich mit Drogen und Frauen umgab – eine dauerhafte Beziehung oder gar ein Kind passten da nicht hinein. Früher reagierte er auf unpassende Fragen in Talkshows durchaus mal handgreiflich, das verkneift er sich jetzt („Bin alt geworden“). Er will sich auf seine Musik konzentrieren und umgibt sich dazu mit lesbischen Frauen wie der pragmatischen Kate (Eve Best) und seiner empathischen Produzentin Molly (Trine Dyrholm). In einem „schwachen“ Moment gibt er desillusioniert zu, dass ihm die Abstinenz schwer fällt und er nichts hat, für das es sich da zu sein lohnt.
Mikael Persbrandt („Der Hobbit: Smaugs Einöde“, „In einer besseren Welt“) überzeugt in der Hauptrolle als verbitterter Musiker, zu dem selbst ein kleiner Junge scheinbar keine Beziehung aufbauen kann: Er spielt Thomas als einsamen Wolf mit Leonard-Cohen-Stimme, der es nie gelernt hat, für andere da zu sein. Seine Tochter wirft ihm das bitterlich vor und versucht ihrem Sohn eine verantwortliche Mutter zu sein – was hoffnungslos scheitert, da auch sie ein Drogenproblem hat. In einer sehr eindringlichen Szene erklärt Thomas dem aufmerksamen Noa, was die Drogen mit ihm machten: Sie füllten ein Loch, das mit nichts anderem gefüllt werden konnte. Dann zerstörten sie ihn. Die Musik wird dagegen nach und nach zur Verbindung zwischen ihnen: Thomas bringt dem Jungen die Moll-Akkorde auf der Gitarre bei, Momente, die gemeinsam mit dem melancholisch-sanften Soundtrack maßgeblich die Atmosphäre bestimmen. Auch wenn es auf diese Weise Momente der Annäherung zwischen Noa und Thomas gibt, hält Pernille Fischer Christensen den Zuschauer im Unklaren, ob er wirklich ein Happy-End erwarten darf.
ACHTUNG SPOILER: Im folgenden Absatz wird auf das Ende besprochen!
Bis kurz vor Schluss ist „Someone You Love“ ein wundervoll-atmosphärischer Film, der nicht einmal ein Happy-End bräuchte. Das Problem ist dann nicht, dass dieses noch folgt, sondern es einfach nur drangeklatscht wird. Plötzlich gibt es einen Umschwung. Der kleine Noa ist genauso erstaunt wie der Zuschauer, wenn Thomas plötzlich und völlig überraschend befindet, dass ein Internat für den Enkel einfach nicht die Lösung sein kann. Noa ist in diesem Moment eigentlich noch der Meinung, Thomas sei „der schrecklichste Mensch den ich kenne“, weil er nie Menschen um sich haben will. Doch der legt einfach seine bisherige Attitüde ab. Die Krone setzt dieser schlecht ausgearbeiteten Schlusswendung die finale Einstellung auf, die wohl in eine optimistische Zukunft weisen soll. Regisseurin Fischer Christensen und ihr Co-Autor Kim Fupz Aakeson („Gnade“, „Ein Mann von Welt“) wählen dafür ein mehr als abgegriffenes Bild, das so gar nicht zu den vorherigen Szenen passen mag: Großvater und Enkel stehen am Straßenrand und pinkeln gemeinsam – traute Zweisamkeit, die im Gegensatz zu den prominenten Vorbildern wie „Der kleine Lord“ nie entwickelt wurde.
SPOILER ENDE!
Fazit: „Someone You Love“ ist ein stimmiger Film mit wunderbarem Soundtrack, bei dem man die finalen fünf Minuten lieber weggelassen hätte.