Als Ecuador in den 90er Jahren in einer schweren Krise steckte, verdoppelte sich der Anteil der Bevölkerung, der von rund zwei Dollar pro Tag lebte, innerhalb von nur fünf Jahren auf fast 70 Prozent. Die Inflation galoppierte und 1999 kollabierte nach einem Korruptionsskandal das ecuadorianische Bankensystem. Besonders Indios, die Mehrheit der Bevölkerung, waren betroffen und organisierten Proteste. Die Weißen waren vor allem mit Besitzstandswahrung beschäftigt. Dies ist der Hintergrund des zärtlich-leichten Spielfilms „Feriado“. In der Welt des Jugendlichen Juan Pablo sind solche Probleme allerdings nur ein Hintergrundrauschen, während es ihm um jugendliche Selbstfindung und die Verwirrung der ersten Liebe geht. Der Debütfilm von Diego Araujo glänzt dabei mit einem wunderbaren Hauptdarsteller und exzellent getroffener Stimmung.
Juan Pablo (Juan Manuel Arregui) ist 16 und schreibt Gedichte. Seinen Spitznamen „Juampi“ mag er nicht besonders, obwohl ihn alle so nennen. Die Ferien bei der Verwandtschaft auf deren Hacienda sind zunächst von überheblichen Cousins und deren komplett anderen Interessen geprägt. Dann lernt er zufällig Juano (Diego Andrés Paredes) kennen, einen jungen Mann aus dem nahen Dorf. Juano arbeitet in einer Motorrad-Werkstatt und hört Heavy Metal. Juampi fühlt sich in Juanos Umgebung wohl und unternimmt immer mehr mit ihm. Der Wunsch ihm auch körperlich näher zu sein wird stärker, während er sich von seinen Verwandten immer weiter entfernt und diese bald vor allem mit den Unruhen im Bankenbereich beschäftigt sind.
„Feriado“ ist ein gelungener, unaufgeregter Film, dessen Stimmung sich beim Zuschauen überträgt. Obwohl es in Juampi brodelt, ist er nach außen recht ruhig, dies spiegelt sich auch im Film: Die Bankenkrise ist ein Hintergrund, der die selbstgefällige Verwandtschaft in Aufruhr versetzt. Dass sich Juampi zwischen Cousins, Onkel und Tante unwohl fühlt, ist nach wenigen Sätzen und Gesten klar: Der ruhige und bedachte Junge trifft auf eingebildete Menschen, die ihr Dienstmädchen herumkommandieren und auch andere in ihrer Umgebung abschätzig behandeln – Juampi eingeschlossen. Araujo benötigt hier wie auch im weiteren Verlauf des Films nur kurze Momente, um das Gefühl des Fehl-am-Platz-seins zu etablieren. „Bin ich falsch oder ist die Welt um mich herum falsch?“ Das fragt sich Juan Pablo sehr oft. Um das zu überprüfen, legt er sich regelmäßig aufs Dach und schaut kopfüber auf seine Stadt. Diese sehr schöne Metapher fasst das Grundgefühl eines Teenagers sehr treffend zusammen. Außer im Vorspann wird das kopfstehende Bild von der Kamera nur noch ein weiteres Mal eingefangen, so dass das Motiv nicht überstrapaziert wird.
Unaufgeregt wird die ungewöhnliche Freundschaft zwischen einem Indio und einem weißen Jungen der Oberschicht erzählt. Das fängt mit dem zufälligen Zusammentreffen an: Während die Freunde seines Onkels einen jungen Mann verprügeln, den sie beim Klauen erwischt haben, schaut Juampi angewidert zu und verhilft schließlich dem Begleiter des Diebes zur Flucht – und findet sich selbst auf dem Motorrad von Juano wieder. Seine Hilfe ist eher unfreiwillig als heldenhaft. Ganz leicht und ohne erzwungene Höhepunkte wird auch in der Folge die Geschichte der beiden erzählt. Juampi ist meist ein bisschen ungelenk, die Sympathie wird aber von Junaos Seite freundlich erwidert. Er verteidigt ihn auch gegen Ablehnung von anderen Indios, die Juampi misstrauisch beäugen. Den Kuss zwischen beiden verklärt Araujo nicht als romantisches Erlebnis, sondern zeigt es als eine emotionale Erfahrung des Jugendlichen, die ihn zeitweise verwirrt.
Regisseur Diego Araujo findet die richtigen Bilder, um seine, nie zu stark dramatisierende Erzählung zu untermalen. Neben den Panoramen der ecuadorianischen Landschaft, mal trockene Berge, mal sattes Grün, durch das die Jugendlichen mit dem Fahrrad fahren, sind die Bilder oft auf Details beschränkt, so wie Juampi seine Umgebung wahrnimmt: Bei einem Fest sind dies die Köpfe der Tanzenden, Flaschen mit Alkohol und immer wieder Juano. Der Alkohol trägt dazu bei, dass der Blickfeld Protagonisten und damit auch der des Zuschauers immer enger wird. Dieser kann sich so noch besser mit der Hauptfigur in dem wundervollen Romantik-Drama identifizieren, das seine Weltpremiere auf der Berlinale 2014 übrigens in der Sektion Generation feierte. Genau der richtige Schauplatz für diesen stimmigen Film für Jugendliche und junge Erwachsene.
Fazit: Große Gefühle und Begebenheiten der ersten Verliebtheit und erwachender Homosexualität werden in „Feriado“ unspektakulär und gerade dadurch berührend in Szene gesetzt.
Dieser Film läuft im Programm der Berlinale 2014. Eine Übersicht über alle FILMSTARTS-Kritiken von den 64. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gibt es HIER.