Das muss ihnen erstmal jemand nachmachen: Schon nach ihren ersten beiden Einsätzen in „Tatort: Feuerteufel“ und „Tatort: Mord auf Langeoog“ wurden Kommissar Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Kommissarin Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) vom NDR befördert. Die beiden Ermittler stehen ab sofort in Diensten der Bundespolizei und könnten zukünftig an Einsatzorten in ganz Deutschland auf Täterfang gehen – auch wenn die Fälle aufgrund der Produktion durch den Norddeutschen Rundfunk wohl weiterhin im Norden Deutschlands angesiedelt sein werden. In ihrem dritten Fall „Tatort: Kaltstart“, bei dem der bis dato vor allem durch Horrorfilme in Erscheinung getretene Österreicher Marvin Kren („Rammbock“, „Blutgletscher“) Regie führt, ist dann geografisch auch nicht viel von der neuen Dienststelle zu spüren: Die in Hamburg beheimateten Ermittler verschlägt es diesmal ins nahegelegene Wilhelmshaven, wo eine Gasexplosion drei Todesopfer fordert. Dieses einleitende Verbrechen spielt aber schon bald nur noch eine untergeordnete Rolle: Die Explosion ist der Startschuss für einen global ausgerichteten und zugleich ziemlich überfrachteten Kriminalfall, bei dem von doppeltem Polizistenmord über die Schleusung afrikanischer Flüchtlinge bis hin zu lukrativen Waffengeschäften so ziemlich alles dabei ist.
Bei einer Gasexplosion in der Nähe eines Containerterminals in Wilhelmshaven kommen ein Menschenhändler und zwei Polizisten ums Leben. Die gerade erst zur Bundespolizei beförderten Kommissare Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) werden auf den Fall angesetzt und stoßen am Jadebusen auf mehrere Verdächtige: Sowohl dem Spediteur Behrend Dreyer (Andreas Patton) als auch dem Lademeister Horst Martinsen (Jochen Nickel) und dem Sicherheitsmann Hermann Jertz (André Hennicke) war der Schleuser ein Dorn im Auge. Lorenz und Falke, der einst mit der getöteten Polizistin liiert war, sind bei ihren Ermittlungen nicht allein: Unterstützt werden sie von Falkes Kumpel Jan Katz (Sebastian Schipper), der mittlerweile in Diensten der Kripo Oldenburg steht, und von Gerd Carstens (Sascha Alexander Gersak), dem ehemaligen Chef der toten Polizisten. Die Ermittler treffen auf eine Mauer des Schweigens: Selbst aus den afrikanischen Flüchtlingen, die in einem Container am Hafen aufgegriffen werden, ist kaum ein wertvoller Hinweis herauszukriegen...
An prächtigen Kulissen mangelte es schon dem Vorgängerfall „Mord auf Langeoog“ nicht – doch wie dort ist auch im 909. „Tatort“ die Verpackung ansprechender als der Inhalt. „Kaltstart“ kommt – um im Bild zu bleiben – selten auf Betriebstemperatur, bleibt nach explosivem Auftakt in den Startblöcken stecken und lässt Spannung und Tempo über weite Strecken vermissen. Vor der imposanten und doch tristen Kulisse des zu großen Teilen leerstehenden Tiefwasserhafens in Wilhelmshaven – dem von Investoren bis heute verschmähten und von Umweltschützern kritisierten JadeWeserPort – gehen die Hamburger Ermittler auf Verbrecherjagd und wissen angesichts der vielen Handlungsfäden schon bald nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht. Ähnlich dürfte es so manchem Zuschauer gehen: Sieht anfangs noch alles nach einem Schleuserdrama in Verbindung mit doppeltem Polizistenmord aus, wird bald klar, dass beim Debüt von Falke und Lorenz für die Bundespolizei offenbar alles eine Nummer größer sein soll. Verstohlene Blicke durch Ferngläser, futuristisch angehauchte High-Tech-Wackelbilder aus der Vogelperspektive und omnipräsente Totalüberwachung – die Polizisten stehen bei ihrer zähen Ermittlungsarbeit permanent unter Beobachtung einer unbekannten Macht, die aus der Ferne zu operieren und alles im Griff zu haben scheint.
Eine durchaus prickelnde Ausgangslage – doch statt den Krimi auf dieses reizvolle Katz-und-Maus-Spiel zuzuspitzen, überfrachten die Drehbuchautoren Volker Krappen und Raimund Maessen den Fall mit unnötigem Beiwerk. Während Lorenz („Die Geschichte glaubt uns kein Mensch!“) mit einem afrikanischen Flüchtlingskind Freundschaft schließt und sich bei den illegalen Einwanderern als Dolmetscherin versucht, trauert Falke seiner getöteten Ex-Freundin nach, die der Zuschauer allerdings nie hat kennenlernen dürfen. Beides bringt die Ermittlungen gegen skrupellose Waffenhändler, die mit den merkwürdigen Überwachungsszenen in Verbindung zu stehen scheinen, keinen Deut voran. Auch der Auftaktmord gerät mit zunehmender Spielzeit immer stärker aus dem Blickfeld und dient nur einleitend als Antriebsfeder. Die wirtschaftlichen Probleme des JadeWeserPorts, die mit dem Kurzarbeiter Martinsen (Jochen Nickel, „Bang Boom Bang“) zumindest ein Gesicht bekommen, werden fast beiläufig angerissen, und auch die Streitigkeiten auf dem Präsidium – Falke muss sich die neuerdings gefragten Führungsqualitäten erst noch aneignen – wollen noch in den knappen neunzig Krimiminuten untergebracht werden. So bleibt nach dem Abspann ein unrunder Gesamteindruck, und es passt ins Bild, dass sich die Filmemacher mit einem offenen Ende aus der Affäre stehlen: Für eine angemessen ausgearbeitete Auflösung des Versteckspiels bleibt am Ende schlichtweg keine Zeit mehr.
Fazit: In Marvin Krens „Tatort: Kaltstart“ bleibt trotz einiger guter Ansätze vieles Stückwerk. Den Hauptdarstellern Wotan Wilke Möhring und Petra Schmidt-Schaller ist dabei kaum ein Vorwurf zu machen – es liegt vielmehr am überladenen Drehbuch, dass der dritte gemeinsame Auftritt der beiden bereits der zweite enttäuschende ist.