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    Particle Fever - Die Jagd nach dem Higgs
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Particle Fever - Die Jagd nach dem Higgs
    Von Jan Hamm

    Lebte Goethes Faust in unserer Zeit, würde er sich wohl kaum mit dem Teufel einlassen, um der Frage nachzugehen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Er würde stattdessen einfach in die Schweiz reisen, um am Europäischen Institut für Teilchenforschung (CERN) in Genf bei der Suche nach dem Higgs-Teilchen zu helfen. Doch was ist das überhaupt, dieses nach dem Physiker Peter Higgs benannte und von manchen Medien reißerisch „God Particle“ getaufte Teilchen? Vereinfacht ausgedrückt: Mathematischen Annahmen folgend muss es eine Kraft geben, die allen Dingen im Universum ihre Masse - und so überhaupt erst ihre materielle Existenz - verleiht. Doch wie beweist man diese Phantomkraft, dieses sogenannte Higgs-Feld? Man baut eine gewaltige unterirdische Maschine, in der man Elementarteilchen (die Bausteine von Atomen) aufeinander feuert. Dabei sprühen gewaltig die Funken. Und in diesem unvorstellbar kurzen und doch messbaren Funkenregen sucht man dann nach Rückständen des Higgs-Feldes - nach den Higgs-Teilchen! 2007 ging die Maschine, der Large Hadron Collider (LHC), in Betrieb. 2012 hieß es dann aus Genf, das Higgs-Teilchen sei aufgespürt worden – und die Geschichte dieser inzwischen mit dem Nobelpreis gewürdigten Leistung zeichnet der Physiker und Filmemacher Mark Levinson in „Particle Fever - Die Jagd nach dem Higgs“ nach. Der Film ist die spannende Chronik eines atemberaubend aufwändigen Physik-Experiments - schade nur, dass man ohne wissenschaftliche Vorkenntnisse schnell auf der Strecke bleibt, wenn die sympathischen Higgs-Jäger in herzlichen Interviews locker-flockig über Standardmodelle, Supersymmetrien und Multiversen plauschen.

    Aufwändig waren auch die Dreharbeiten zu „Particle Fever“: Sieben Jahre lang begleitete Regisseur Levinson die Physiker am CERN, von der Konstruktionsphase des LHC bis zur euphorischen Verkündung des Teilchenfundes. Begonnen hat die Geschichte aber schon vorher. Zu Beginn streut Levinson ein paar Archivaufnahmen ein und erinnert daran, wie Higgs in den 60ern erstmals über das Teilchen spekulierte, das später seinen Namen tragen sollte. Und wie die USA in den 80ern ein LHC-ähnliches Projekt starten wollten, aber nicht über die Planungsphase hinauskamen, bis es selbstgefällig hieß, man würde das Unternehmen Europa „überlassen“. Am LHC-Erfolg waren letztendlich aber keineswegs nur Europäer beteiligt. Über 10.000 Menschen aus über 100 Nationen haben in Genf und über ein globales Netzwerk zusammengefunden. Politisch betrachtet zeigt der Film eine wahre Utopie - wo sonst außer in der Raumfahrt liegen sich Amerikaner und Russen, Israeli und Iraner, Inder und Pakistani lachend in den Armen, wenn sie mal wieder einen gemeinsamen Durchbruch erreicht haben? In Levinsons Interviews mit Menschen aus diesem bunt zusammengewürfelten Haufen kommt auch zur Sprache, dass eine solche politische Freizügigkeit nicht allen Regierungen dieser Welt schmeckt. Ähnlich kritisch beäugt wird der LHC von einigen Ökonomen, schließlich werden dort nicht Waren und Wachstum, sondern Theorien und Wissen produziert.

    Zugänglich ist dieses Wissen allerdings erst einmal nur sehr wenigen Menschen. Um wirklich zu verstehen, was die Higgs-Jäger in „Particle Fever“ so treiben, braucht man handfeste Physik-Vorkenntnisse. Schließlich erklärt es sich nicht von selbst, warum viele Quantenphysiker inzwischen von der Existenz unendlich vieler Paralleluniversen - also von einem Multiversum - ausgehen. Und erst recht nicht, warum die Beschaffenheit von Higgs-Teilchen Auskunft über die Wahrscheinlichkeit dieser Theorie geben soll. Das ist schade, aber auch mehr als verständlich: In knapp 100 Minuten hat Levinson schlichtweg nicht die Zeit, all das ausführlich genug zu erklären. Wer mehr über diese hochgradig abstrakten Themen lernen möchte, findet anderswo mehr Futter, beispielsweise in Neil DeGrasse Tysons fantastischer TV-Serie „Unser Kosmos: Die Reise geht weiter“. Als Physik-Vorlesung will Levinson „Particle Fever“ wohl aber auch gar nicht verstanden wissen. Wenn nämlich zum Schluss einer seiner Gesprächspartner ganz begeistert von Werner Herzogs „Höhle der vergessenen Träume“ erzählt und Levinson zwischen den dort gezeigten 40.000 Jahre alten Höhlenmalereien sowie Kreidetafeln voller Matheformeln umher blendet, ist klar: Hier wird nicht nur ein grandioses Wissenschaftsprojekt im Speziellen, sondern auch der menschliche Forschergeist im Allgemeinen gefeiert!

    Fazit: „Particle Fever - Die Jagd nach dem Higgs“ ist ein informativer, unterhaltsamer und angemessen feierlicher Blick auf die Menschen, die Ideale und die Geschichte hinter dem Monsterprojekt LHC. Der Einblick in die eigentliche Wissenschaft bleibt dabei aber recht oberflächlich.

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