Aus Gemälden bewegte Bilder zu machen und damit der Geschichte hinter dem abgebildeten Moment auf die Spur zu kommen, ist ein reizvoller, phantasieanregender Gedanke. Natürlich ist die Idee nicht völlig neu. Im Kleinen kennt man animierte Porträts aus den Harry-Potter-Filmen. Im Großen führte der polnische Filmemacher Lech Majewski im Jahr 2011 mit seinem Film „Die Mühle und das Kreuz“ anhand eines Bildes von Pieter Bruegel d.Ä. beeindruckend kongenial vor, welche Schicksale sich hinter einem Gemälde verbergen können. Nun hat sich der Österreicher Gustav Deutsch durch die Kunst Edward Hoppers anregen lassen, etwas Ähnliches mit dessen Bildern zu versuchen. Im Hinblick auf ästhetische Ambition und Umsetzung kann Deutschs Film sich stellenweise durchaus mit Majewskis Bruegel-Exegese messen; inhaltlich aber geht „Shirley – Der Maler Edward Hopper in 13 Bildern“ nicht wesentlich tiefer als die bewegten Porträts an den Wänden des filmischen Hogwarts.
Obwohl die Bilder des amerikanischen Malers Edward Hopper (1882-1967) vor vielen Jahrzehnten entstanden, hält die Popularität seiner Werke ungebrochen an. Die klaren, kühlen Farben und Kontraste, die unbestimmte Verlorenheit der abgebildeten Personen in einer menschenleer scheinenden Umgebung sind die Markenzeichen von Hoppers Kunst. Immer noch haben diese Bilder das Zeug zum beliebten Postermotiv; auch eignen sie sich hervorragend zur Illustration von Magazinartikeln über die psychische Verfasstheit des modernen Menschen. Wohl kaum ein anderer Maler hat dessen vielbeschriebene Unbehaustheit eindrücklicher in Farbe gebannt als Hopper. - Doch bei aller existenziellen Verlorenheit, die sie transportieren, haben die Hopper-Bilder auch etwas unbestreitbar Dekoratives. Ebenfalls sehr attraktiv war die Frau des Malers, was sicherlich ein Grund dafür war, dass er sie immer wieder als Modell einsetzte.
Dass oft dieselbe weibliche Gestalt auf Hoppers Bildern zu sehen ist, macht Gustav Deutsch sich zunutze, um eine Art zusammenhängende Erzählung für seine bewegten Bilder zu schaffen. „Shirley“ nennt er die Protagonistin, dargestellt von der Tänzerin Stephanie Cumming, und gibt ihr eine Legende: Shirley ist Schauspielerin, geschult im Method Acting, liiert mit einem Journalisten und politisch – anders als Edward Hopper selbst – liberal denkend. Dreizehn Bilder liegen dem Film zugrunde, für die es insgesamt genau dreizehn verschiedene Kameraeinstellungen gibt. Lediglich das Ein- und Aus-Zoomen erlaubte der Regisseur seinem Kameramann Jerzy Palacz („Naked Opera“), in geringem Umfang auch minimale Schwenks. Innerhalb jeder Szene gibt es einen Moment, in dem die Einstellung identisch ist mit dem Bild, das Hopper ursprünglich gemalt hat.
Dieses strenge Konzept hat ästhetisch seinen Reiz, und die formale Umsetzung von Farben, Bauten, Licht und Schatten durch die Künstlerin Hanna Schimek ist sehr gelungen. Doch beginnt „Shirley“ nicht wirklich filmisch zu leben. Die inneren Monologe der Protagonistin, mit denen der situative Hintergrund jeder Szene umrissen werden soll, werden zu keiner Erzählung über ihre Person, die auch nur momentweise fesseln könnte. Zu ausgedacht ist ihre Legende, zu gewollt die historischen Bezüge, zu stilisiert die Sprache. Zu allem anderen sind die Texte auch noch zu schläfrig eingesprochen. Die schwer fassbare, immer etwas rätselhafte Spannung, die Hoppers Bildern eigen ist, wird somit in der bewegten Umsetzung reduziert zu gähnender Langeweile. Innerhalb eines musealen Rahmens mag „Shirley“ als formales Experiment interessant sein – in einem solchen Kontext ist das Projekt ursprünglich auch entstanden -, doch sein Transfer auf die Kinoleinwand ist ein großer Irrtum.
Fazit: „Shirley – Der Maler Edward Hopper in 13 Bildern“ bietet Bewegtbilder zu Gemälden des amerikanischen Klassikers Edward Hopper. Visuell erlesen umgesetzt, doch erzählerisch wenig überzeugend und inhaltlich zu gesucht.