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    Bornholmer Straße
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Bornholmer Straße
    Von Lars-Christian Daniels

    „Das tritt nach meiner Kenntnis… ist das sofort. Unverzüglich“, antwortete SED-Funktionär Günter Schabowski bei einer schon bald zur Legende gewordenen Pressekonferenz am 9. November 1989 auf die Nachfrage eines Journalisten, wann denn das neue Reisegesetz der Deutschen Demokratischen Republik in Kraft treten solle. Die binnen Minuten über die Medien verbreitete Neuigkeit, dass DDR-Bürger ab sofort ohne „Vorliegen von Voraussetzungen“ Privatreisen ins Ausland unternehmen könnten, löste noch am selben Abend einen Massenansturm auf die Grenze nach West-Deutschland aus und führte schließlich zur vorzeitigen Öffnung der Berliner Mauer durch die überforderten Grenzbeamten. Pünktlich zum 25-jährigen Jubiläum dieses historischen Abends bringt die ARD einen dazu passenden historischen Spielfilm ins Fernsehen: Basierend auf Motiven aus Gerhard Haase-Hindenbergs Roman „Der Mann, der die Mauer öffnete“ lässt Filmemacher Christian Schwochow („Westen“) in seinem stimmungsvollen Mauerfalldrama „Bornholmer Straße“ eines der wichtigsten Kapitel der deutschen Geschichte lebendig werden.

    Ost-Berlin, 9. November 1989: Am Grenzübergang Bornholmer Straße geht alles seinen gewohnten Gang. Als NVA-Oberstleutnant und Grenzpostenleiter Harald Schäfer (Charly Hübner) aber zufällig die Pressekonferenz mit Günter Schabowski im Fernsehen sieht, weicht sein anfängliches Erstaunen einer elektrisierenden Erkenntnis: Die Reisebeschränkungen für DDR-Bürger sind aufgehoben und er selbst trägt plötzlich eine unerwartete Verantwortung. Immer mehr Ost-Berliner tauchen an der Bornholmer Straße auf – anfangs sind es nur vereinzelte Schaulustige, doch schon bald stehen tausende Menschen auf der Straße und fordern in Sprechchören das Öffnen der Grenztore. Was tun? Schabowskis Aussage ist für die Skandierenden unmissverständlich – doch trotz energischer Nachfragen wartet Schäfer vergeblich auf einen telefonischen Befehl seines ratlosen Vorgesetzten Oberst Hartmut Kummer (Ulrich Matthes). Unter Schäfers engeren Kollegen – Oberleutnant Ulrich Rotermund (Milan Peschel), Major Peter Arndt (Rainer Bock),  Oberfeldwebel Axel Hoffmann (Ludwig Trepte), Zollrat Michael Krüger (Robert Gallinowski) und Feldwebel Jens Rambold (Frederick Lau) – herrscht Uneinigkeit. Schäfer steckt in der Zwickmühle, denn die Lage am Schlagbaum droht zu eskalieren...

    Filmemacher Christian Schwochow, der auch bei der TV-Adaption von Ken Folletts Bestseller-Roman „Die Pfeiler der Macht“ Regie führen wird, braucht ein paar Minuten, bis er den passenden Erzählton für seinen historischen Stoff findet. In der humorlastigen ersten Viertelstunde kommt „Bornholmer Straße“ noch wie Ostalgie-Unterhaltung der harmlosesten Art daher: Die routinierten Grenzer machen nämlich zunächst Jagd auf einen herrenlosen Hund, der sich von der Westberliner Seite aufs Grenzgelände geschlichen hat. Dieser seichte Beginn will so gar nicht mit den dramatischen Bildern harmonieren, die Kameramann Frank Lamm („Novemberkind“) in der Folge am Grenzübergang einfängt. Und während draußen Geschichte geschrieben wird, macht sich der auf die Vorschriften pochende Oberleutnant Rotermund in der Wachstube zunächst vor allem Sorgen, dass die anderen Kollegen ihm seine heißgeliebten Kekse vom Schreibtisch stibitzen könnten. Immerhin: Charakterdarsteller Milan Peschel („Halt auf freier Strecke“) erhält hier ausgiebig Gelegenheit, seinen paragraphenfixierten Vorzeige-Grenzer nach Herzenslust zu überzeichnen, was auch nach der überstandenen Kekskrise noch zu zahlreichen emotionalen Streitgesprächen mit Schäfer & Co. führt.

    Nach diesem klamauklastigen Auftakt zieht Schwochow die Spannungsschraube kontinuierlich an und findet bald zu einer überzeugenden Form: Nach der TV-Ausstrahlung von Schabowskis Pressekonferenz tauchen schon bald die ersten irritierten Ost-Berliner am Schlagbaum auf und erkundigen sich schüchtern, ob man denn mal kurz rüber in den Westen dürfe. Mit jeder verstreichenden Minute spitzt sich die Lage am Grenzübergang Bornholmer Straße weiter zu, wenn immer größere Menschenmassen die Grenzöffnung fordern und auf die zunächst ebenso überforderten wie unnachgiebigen Beamten um Schäfer treffen. Regisseur Christian Schochow und die Drehbuchautoren Heide und Rainer Schwochow entspinnen ein fesselndes Szenario, das trotz des allseits bekannten Ausgangs mitreißt. Das liegt nicht zuletzt an dem erfrischenden und spannenden Perspektivenwechsel: So ziemlich jeder Fernsehzuschauer dürfte die Bilder vom Mauerfall zwar schon mal in einer Dokumentation, einer Nachrichtensendung oder 1989 live vorm TV-Bildschirm verfolgt haben, doch spielte die Frage nach der entscheidenden Rolle der Grenzbeamten und deren stundenlanger Gefangenheit zwischen Befehlen und Gefühlen dabei allenfalls am Rande eine Rolle.

    Im emotionalen Zentrum des Films steht der Oberstleutnant Harald Schäfer, dessen innere Zerrissenheit „Polizeiruf 110“-Kommissar Charly Hübner mit Bravour auf die Mattscheibe bringt. Schäfer ist kein Held im eigentlichen Sinne – bis zur finalen Erkenntnis, was die Stunde geschlagen hat, ist der Grenzbeamte vielmehr nur die hilflose Marionette eines überholten politischen Systems. Immerhin bleibt er besonnen, während sich der überforderte Jung-Feldwebel Rambold (Frederick Lau, „Wir waren Könige“) in unüberlegten Rangeleien aufreibt und der erfahrene Hauptmann Schönhammer (Max Hopp, „Die Spiegel-Affäre“) sogar in die Menge feuern will. Eine Schlüsselrolle kommt daneben dem einmal mehr blendend aufgelegten Ulrich Matthes („Tatort: Im Schmerz geboren“) als Oberst Kummer zu: Desillusioniert sitzt Schäfers Vorgesetzter fast den kompletten Film über am Schreibtisch und schenkt sich fleißig Cognac nach, bis sein Telefon das nächste Mal ungeduldig klingelt. Als er sich in Bedrängnis endlich zu einem völlig realitätsfernen Befehl hinreißen lässt, wird dieser von einigen Grenzbeamten in der Wachstube überschwänglich gefeiert, während sich ihre Kollegen am Schlagbaum über die fröhlichen Beamten am Fenster wundern – in dieser bittersüßen Szene wird die einmalige Dynamik dieses historischen Tages zwischen Zusammen- und Aufbruch besonders deutlich.

    Fazit: Mitreißendes Grenzerdrama statt ostalgieschwangerer Mauerfallkitsch – Christian Schwochow wechselt in „Bornholmer Straße“  die Perspektive und inszeniert einen stark besetzten TV-Film mit hohem Unterhaltungswert.

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