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    Die Zeitmaschine
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Die Zeitmaschine
    Von Sven Maier

    Ende des 19. Jahrhunderts schrieb H.G. Wells „Die Zeitmaschine", einen Klassiker der Science-Fictionliteratur, der ein eigenes Unter-Genre nach sich zog. Regisseur George Pal nahm den Roman als Vorlage für einen Film, den man ebenso als Klassiker bezeichnen kann: An ihm müssen sich alle nachfolgenden Zeitreisefilme messen lassen.

    London, der Silvesterabend des Jahres 1899. Der Erfinder George (Rod Taylor, Die Vögel) lädt seine Freunde zu sich nach Hause ein, um sie zu Zeugen seiner neusten Errungenschaft zu machen: Der Zeitmaschine. Er führt ihnen ein kleines Modell vor, das vor ihren Augen verschwindet. Doch keiner will ihm glauben, dass es tatsächlich in die Zukunft gereist ist. Nachdem alle gegangen sind besteigt er zum ersten Mal die Maschine. George erlebt den ersten Weltkrieg, dann den zweiten und schließlich einen weiteren, im Jahr 1966. Mit knapper Not kann er der Lava eines Vulkanausbruchs entkommen, aber um die Maschine herum hat sich eine Hülle aus Stein gebildet. Er reist immer weiter, bis der Stein über die Jahrtausende hinweg vom Wind und Wetter abgetragen wurde. Im Jahr 802.701 findet er eine Welt vor, in der es keinen Winter gibt, und scheinbar keine Kriege. Er hält es für das Paradies, bis er Menschen entdeckt, das Volk der Eloi, die von den nachtaktiven Morlocks, die im Untergrund leben, unterjocht werden. Als George wieder in seine Zeit zurückreisen will, wurde die Zeitmaschine aber von den Morlocks gestohlen und er ist in dieser vollkommen fremden Welt gestrandet...

    I don't much care for the time I was born into. It seems people aren't dying fast enough these days. They call upon science to invent new, more efficient weapons to depopulate the Earth. [1]

    Für George ist die Zeitmaschine mehr als nur eine Obsession, wie man wegen den vielen Uhren in seiner Wohnung denken könnte. Er hat nicht nur das Gefühl ein Gefangener in der Zeit zu sein – was der Zuschauer leicht nachvollziehen kann. Denn wer hat sich noch nie gewünscht, in einem anderen Zeitalter geboren worden zu sein? George jedoch möchte seine eigene Zeit zum Besseren verändern. Die Faszination der Geschichte entsteht dadurch, dass der Protagonist nicht in die Vergangenheit reist, sondern in die Zukunft. H.G. Wells verwendet seinen Roman nicht als Rahmen für ein mehr oder weniger gelungenes Zeitparadoxon, wie es viele Autoren nach ihm getan haben. Stattdessen legt er die Zukunft der Menschheit dar, um seine Kritik an der Klassengesellschaft deutlich zu machen.

    You know, Weena ... I'd hoped to learn such a great deal. I had hoped to take back the knowledge and advancement mankind had made. And instead I find vegetables. The human race reduced to vegetables. [2]

    Die Menschheit hat sich in zwei Rassen aufgespalten: Den kindlichen und leidenschaftslosen Eloi, die ihrer Welt gegenüber gleichgültig geworden sind und den affenartigen, entmenschlichten Morlocks, die, weil sie einfache Maschinen bedienen können und den Eloi körperlich überlegen sind, die Oberhand gewonnen haben. Ob diese „Nachwelt" möglich ist oder nicht, darüber kann man natürlich spekulieren. Fakt ist: Wie sich die Zukunft bis zum Jahr 802.701 entwickeln wird, entzieht sich, auch in hunderttausend Jahren noch, unserem Verständnis. Von Anfang an versteht es George Pal, den Zuschauer neugierig zu machen. Nichts wird direkt offenbart, darum beginnt der Film auch erst mit David Filby (Alan Young), Georges bestem Freund. Erst als alle versammelt sind, hat der Erfinder seinen Auftritt: Plötzlich stürzt er total verdreckt und erschöpft ins Esszimmer. Die Reise, über die der Film berichtet, hat bereits stattgefunden und die Geschichte macht einen Zeitsprung zurück zum Silvesterabend 1899, an dem George mit seiner Erzählung beginnt.

    Pal nimmt sich Freiheiten heraus, er hält sich nicht in allen Details an den Roman. Zum Beispiel hat der Zeitreisende ursprünglich keinen Namen, hier dürfte Wells' zweiter Vorname wohl Pate gestanden haben. Gerade kleine Veränderungen und vor allem das Ende des Films verleihen ihm seine Eigenständigkeit. In der Struktur aber bleibt er der Vorlage treu. Die Spezialeffekte, für die Gene Warren und Tim Baar 1960 einen Oscar gewannen, erreichen ihr Ziel, den Verlauf der Zeit glaubhaft zu machen und wirken auch nach mehr als 45 Jahren noch ansehnlich. Sei es der Verlauf von Sonne und Mond, die sich in sekundenschnelle hinterher jagen, oder das Öffnen und Schließen der Blumen in Georges Werkstatt. Besonders eindrucksvoll ist die Idee mit der Schaufensterpuppe, bei der die drastischen Modeänderungen das rapide Fortschreiten der Zeit auf einfache aber effektive Weise deutlich machen.

    Wichtigstes Element des Films aber, ohne das er nur halb so gut funktionieren würde, bleibt die Zeitmaschine selbst. Sie gehört mit zu den bekanntesten Requisiten der Filmgeschichte und sieht ganz anders aus, als man sich eine solche Maschine vielleicht vorstellen würde. Aus ihr hängen keine Drähte, es ist kein unförmiges Gerät, sondern ein schön gestaltetes, elegantes Modell. Das Design wurde deutlich an die fiktive Entstehungszeit, das Viktorianische Zeitalter, angelehnt. George Pal entschied sich für einen Schlitten-Entwurf, der den Eindruck erweckt, er könne durch die Zeit gleiten. Das Modell selbst besitzt außerdem eine eigene Geschichte, auf die in dem DVD-Special „The Time Machine: The Journey Back" mit Rod Taylor und Alan Young eingegangen wird. Die Maschine geriet nach dem Film nicht in Vergessenheit und hatte noch in einigen Produktionen Gastauftritte. Sie diente unter anderem Michael J. Fox in einer Promo für Zurück in die Zukunft.

    Ohne die richtigen Schauspieler hätte aus „Die Zeitmaschine" schnell ein trashiger Science-Fiction-Streifen entstehen können. Aber auch hier, wie in allen Belangen, zeigte George Pal ein goldenes Händchen: Hauptdarsteller Rod Taylor verleiht seinem Zeitreisenden die notwendige Härte. Er ist nicht nur Erfinder, sondern in erster Linie Abenteurer und man nimmt ihm ab, dass er sich in dieser fremdenfeindlichen Zukunft behaupten kann. Yvette Mimieux spielt die naiv-kindliche Weena, in der George sein passendes Gegenstück gefunden hat. Die Chemie zwischen den Schauspielern stimmt einfach und man verzeiht Pal gerne, dass er die Romanze der beiden etwas weiter hat als in der Vorlage getrieben hat. Hier findet man das in Abenteuerfilmen gerne verwendete Motiv der „Jungfrau in Not", die Mimieux ideal verkörpert.

    Außerdem spielt Alan Young Georges Freund Filby, dem sowohl die Anfangs- als auch die Endszene gehören, sehr überzeugend. Mit einem leicht übertriebenen Akzent kommentiert er das Geschehen und wird zu einem liebenswerten Charakter. Am Ende des Films will er noch einmal mit George sprechen, aber der ist bereits wieder zurück in die Zukunft. Dann bemerkt Filby, dass drei Bücher im Regal fehlen. Welche Bücher George letztendlich mitgenommen hat, ist nicht so wichtig. Viel interessanter bleibt Filbys Frage, die den Zuschauer beschäftigt: Welche Bücher hätten sie mitgenommen?

    [1] George zu seinem Freund David Filby

    [2] George im Jahre 807.201 zu Weena

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