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    Tatort: Ohnmacht
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Tatort: Ohnmacht
    Von Lars-Christian Daniels

    Im September 2013 nahmen sich die „Tatort“-Macher der Aufarbeitung einer realen Schreckenstat an: Für den von Filmkritik und Fernsehpublikum vielgelobten Berliner „Tatort: Gegen den Kopf“ stand der reale Fall des an einer Münchener S-Bahn-Station getöteten Dominik Brunner Pate. Im Film prügelten zwei aggressive Teenager einen Familienvater zu Tode, der bei einer Handgreiflichkeit in der Bahn beherzt eingeschritten war. Ein paar Monate später erzählen Regisseur Thomas Jauch und Drehbuchautor Andreas Knaup in ihrem „Tatort: Ohnmacht“ eine ganz ähnliche Geschichte: Diesmal spielt der Krimi zwar in Köln statt in Berlin, doch die Kommissare fahnden erneut nach jugendlichen U-Bahn-Schlägern, die einen jungen Mann krankenhausreif prügeln. Das Ergebnis fällt im Vergleich deutlich schwächer aus: Trotz eines hochemotionalen Auftakts und einer mutigen Schlusspointe kann der Sonntagabendkrimi diesmal nicht überzeugen. Das liegt in erster Linie daran, dass der Kölner „Tatort“ neben guter Ansätze vor allem undifferenzierte Sozialkritik, klischeebeladene Figuren und Dialoge, in denen alle Beteiligten viel zu dick auftragen, bietet.

    Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) erleben eine herbe Enttäuschung: An ihrer Lieblings-Wurstbraterei am Rheinufer ist die heißgeliebte Currywurst ausgegangen. Es bleibt bei einem Feierabendkölsch – beziehungsweise bei zwei Kölsch, denn Ballauf nimmt sich noch eine Flasche mit auf den Heimweg. Als der Kommissar eine nahegelegene U-Bahn-Station betritt, wird er Zeuge einer Schlägerei: Jugendliche prügeln brutal auf den am Boden liegenden Musikstudenten Manuel Sievers (Nikolai Mohr) ein. Außer Ballauf eilt keiner der wartenden Fahrgäste dem wehrlosen Opfer zu Hilfe. Ehe sich der Kommissar versieht, setzt ihn ein Faustschlag außer Gefecht. Als er wieder zu sich kommt, wird er von hinten auf die Bahngleise geschubst, kann sich aber in letzter Sekunde vor einem einfahrenden Zug retten. Die Tatverdächtigen entkommen, sind dank der Fingerabdrücke auf der Geige des Opfers aber schnell ermittelt: Kai Göhden (Robert Alexander Baer), der mit seiner Ex-Freundin Janine Bertram (Nadine Kösters) in der U-Bahn-Station unterwegs war, ist schon öfter straffällig geworden. Die beiden weisen aber ebenso wie Janines Freund, der angehende Jura-Student Adrian Hamstetten (Sven Gielnik), jede Schuld von sich: Die Teenager behaupten, sich nur gewehrt zu haben, weil der lebensgefährlich verletzte Manuel den Streit provoziert hätte…

    „Ohnmacht“ ist einer der anstrengenderen „Tatorte“ – was auch daran liegt, dass es außer den Kommissaren diesmal keine Sympathieträger gibt. Ballauf und Schenk, die zu den beliebtesten Ermittlern der Reihe zählen, treffen auf unausstehliche und zugleich furchtbar klischeebeladene Zeitgenossen: den hochnäsigen Bald-Juristen Adrian, der sie beim Waschen eines schicken Cabrios höhnisch abblitzen lässt, das verhätschelte, engelsgleich frisierte Prinzesschen Janine, das es natürlich faustdick hinter den Ohren hat, das aggressive Problemkind Kai, das die polizeiliche und erzieherische Autorität mit Füßen tritt, und nicht zuletzt die unterkühlte Haftrichterin Carola Blessing (Anne Cathrin Buhtz), die – typisch für dieses Rollenbild in der „Tatort“-Reihe – eisern auf Paragraphen pocht und dabei Instinkt und Fingerspitzengefühl vermissen lässt. Vor allem bei den Konfrontationen mit Blessing und Staatsanwalt von Prinz (der 2013 verstorbene Christian Tasche in seinem letzten „Tatort“-Auftritt) soll die „Ohnmacht“ der Kommissare, die das Jugendstrafrecht am liebsten neu schreiben würden, unterstrichen werden – dass Blessing sich an die Vorschriften hält und auch nur ihren Job macht, gerät angesichts ihres extrem arroganten Auftritts, der Hitzkopf Ballauf auf die Palme bringt, leicht in Vergessenheit.

    Das überdeutliche und undifferenzierte Anprangern sozialer oder juristischer Missstände war schon häufig eine Schwäche des Kölner Krimis – und ist doppelt ärgerlich, weil der Trend in der Domstadt nach „Tatort: Franziska“ und „Tatort: Der Fall Reinhardt“ zuletzt nach oben zeigte. „Ohnmacht“ wirkt wie ein Rückfall in alte Zeiten: Es hagelt platte Binsenweisheiten, betroffene Blicke und unnötige Kommentare, in denen die Kommissare aussprechen, was die Bilder von Kameramann Clemens Messow („Die Spiegel-Affäre“) längst entlarvt haben. Schon in der U-Bahn-Sequenz tragen die Filmemacher viel zu dick auf: Während Ballauf sich wie ein Berserker in die Schlacht stürzt, stehen Dutzende Bahngäste staunend, aber untätig herum. Nicht ein Augenzeuge greift zum Smartphone, um die Polizei zu informieren oder zumindest einen Schnappschuss für die sozialen Netzwerke abzustauben – eine Zeugin leugnet sogar, überhaupt ein Handy zu besitzen, als sich der Staub längst gelegt hat. Das Schreckensszenario wirkt in dieser Extremform – allen traurigen Beispielen für fehlende Zivilcourage im Alltag zum Trotz – einfach zu konstruiert. Dem Opfer die Hand hält schließlich Gothic-Girl Linda Peters (Lili Zahavi): Na klar, das Mädchen ist zwar finster geschminkt, zeigt aber im Gegensatz zu allen Anderen Herz und keine Berührungsängste. Hier werden Klischees mit dem Holzhammer bekämpft.

    Das Personalkarussell in Köln dreht sich derweil munter weiter: Nach dem Gastspiel von Patrick Abozen als Assistent Tobias Reisser in „Der Fall Reinhardt“ darf sich diesmal Lucie Heinze („Millionen“) als Digital Native Miriam Häslich („Bin ja schließlich ausgebildete IT-Fachfrau und keine Tippse!“) im Präsidium versuchen. Die neue Nerd-Kollegin punktet zwar mit der Pixelanalyse eines Handyfotos, nervt aber mit neunmalklugen Plädoyers für papierlose Dokumentenverwaltung und schickt dem beeindruckten Schenk ein Protokoll digital aufs Smartphone – willkommen im Jahr 2014, Freddy. Während Schenk seine Begeisterung mit eifrigem Lob („Das ist ja toll!“) und schwärmenden Blicken überdeutlich unterstreicht, lässt Papierfreund Ballauf die Assistentin ein per Spracherkennung erstelltes Protokoll abtippen, weil darin „Brombeerjacke“ statt „Bomberjacke“ zu lesen ist. Häslich und Schenk („Ich simse manchmal mit meiner Tochter!“) wissen im Gegensatz zu Ballauf auch um die Bedeutung der Abkürzung „LOL“ – was den verprügelten Kommissar rund fünfzehn Jahre älter wirken lässt, als er eigentlich ist. Warum die bösen Boulevardmedien – denen man entsprechende Recherchefähigkeiten durchaus zutrauen würde – aus einem skandalträchtigen Bloggerfoto (Wer hat‘s gefunden? Die Häslich!) keinerlei Profit schlagen und lieber mit einem harmlosen Porträtbild des Opfers aufmachen, bleibt indes rätselhaft.

    Auch die Besetzung ist nicht frei von Schwächen: Jungschauspieler Robert Alexander Baer („Ich fühl mich Disco“) darf sich zwar herrlich rüpelhaft geben, neigt aber gelegentlich zum Over-Acting und macht bei den emotional aufgeladenen Begegnungen mit den Ermittlern vor allem mit hölzernen One-Linern und penetranter Zeichensprache auf sich aufmerksam. Nadine Kösters („Frühlingskinder“) muss als eiskalter Engel mit Hang zur Gewalteruption in erster Linie unschuldig aussehen und diese Fassade auf Knopfdruck aufbrechen, liefert dabei aber eine solide Leistung ab. Eine späte Beichte, die ihren Vater (gut: Felix von Manteufel) in die Bredouille bringt und ihrer Mutter Elisabeth (stark: Corinna Kirchhoff) eine willkommene Entschuldigung für das Verhalten ihrer Tochter liefert, verpufft angesichts der plumpen Charakterzeichnung ebenso wirkungslos wie das fast unfreiwillig komische Finale im Verhörzimmer, bei dem die Kölner Kommissare die bis dato sehr gewitzt auftretenden Jugendlichen mit einem simplen Bauerntrick gegeneinander auszuspielen versuchen. Da rettet die heftige Schlusspointe, die die „Ohnmacht“ der Erwachsenenwelt gegenüber dem kriminellen Nachwuchs noch einmal wirkungsvoll auf den Punkt bringen soll, am Ende nur wenig.

    Fazit: Gut gedacht, weniger gut gemacht – Thomas Jauchs Kölner „Tatort: Ohnmacht“ hat außer einem emotionalen Auftakt, einer prickelnden Ausgangslage und einer herben Schlusspointe vor allem platte Dialoge, klischeebeladene Figuren und undifferenzierte Kritik am Rechtsstaat bieten.

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