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    Hwayi
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Hwayi
    Von Stefan Dabrock

    2003 überraschte der südkoreanische Regisseur Jang Joon-Hwan mit seinem Spielfilmdebüt „Save the Green Planet“, einer bizarren Mischung aus Komödie, Tragödie, Thriller und Science-Fiction, die teilweise an einen psychedelischen Trip erinnert. In den Folgejahren avancierte das Werk zu einem internationalen Festivalhit, während es an den südkoreanischen Kinokassen scheiterte. So dauerte es satte zehn Jahre bis Jang mit dem psychologisch-melodramatischen Thriller „Hwayi“ einen Nachfolger vorlegen konnte. Diesmal ignoriert er die Konventionen des Erzählfilms nicht so stark wie in „Save the Green Planet“, nutzt dafür die linearere Geschichte, um auf brillante Weise Spannung und Drama zu verbinden und vom Gewaltpotenzial einer zerrissenen Identität zu erzählen.

    Als Kleinkind wurde Hwayi (Yeo Jin-gu) von der Gangsterbande um den grimmigen Seok-tae (Kim Yun-seok) entführt. Nachdem die Geldübergabe gescheitert ist, haben die Kriminellen den Jungen aber nicht in irgendeinen Straßengraben geworfen, sondern das Kind stattdessen aufgezogen. Inzwischen ist Hwayi zu einem 17-jährigen Jugendlichen herangewachsen, der fünf Männer als Väter bezeichnet und die einzige Frau in der ländlichen Hausgemeinschaft Mutter nennt. Unter Seok-taes Aufsicht hat Hwayi Schießen und andere nützliche Fertigkeiten gelernt. Jetzt ist die Zeit gekommen, da er seinen Vätern bei ihren kriminellen Aktivitäten helfen soll. Doch Hwayi wird von der Vorstellung eines bösartigen Monsters geplagt, das ihn zerfetzen will und kann nicht so ohne weiteres Gewalt ausüben. Und als er durch einen Zufall Informationen über seine wahre Herkunft findet, bricht die mühselige Ordnung seines Lebens vollständig zusammen.

    Nach dem spannend inszenierten Prolog mit der gescheiterten Geldübergabe, konzentriert sich Jang Joon-Hwan zunächst auf die Beschreibung der ungewöhnlichen Familiensituation des nun 17-jährigen Hwayis. Innerhalb des kriminellen Umfelds mit vielen Bezugspersonen hat der Jugendliche Schwierigkeiten, zu einer klaren Identität zu finden. Hinzu kommt das Trauma der Entführung, das er nie bewältigen konnte. Im ländlichen Zusammenleben der „Familie“ lässt Jang eine scheinbare Harmonie entstehen, indem er auf offene Streitigkeiten verzichtet, die Distanz zwischen Hwayi und den meisten seiner „Väter“ stets deutlich macht. Nur langsam steigert sich das Unbehagen, kommen die verdrängten Probleme an die Oberfläche, bis die Atmosphäre immer beklemmender wird. Nebenhandhandlungen verstärken noch das Bild eines isolierten Jugendlichen, der ohne wirkliche Zuwendung langsam zu einem zunehmend instabilen Charakter wird. Als Hwayi etwa eine Freundschaft zu einer Schülerin entwickelt, reagiert er fast kommentarlos auf die Zuwendung des Mädchens. Trotz seiner Sehnsucht nach menschlicher Wärme bleibt sie unerreichbar und macht seine Situation umso tragischer.

    Optisch spiegelt sich Hwayis Schicksal im ländlichen Umfeld aus herbstlichen Brauntönen, kahlen Ackerflächen und staubigen Straßen wieder. Sie bilden die triste Bühne für den bevorstehenden Ausbruch überquellender Spannungen. Auf eindrucksvolle Weise wechselt Jang Joon-Hwan dabei zwischen der immer bedrückender werdenden Identitätskrise Hwayis und klassischen Momenten des Action- bzw. Thrillerkinos: Jede Verfolgungsjagd, jede kriminelle Aktion und die schließlich offene Auseinandersetzung zwischen ihm und den „Vätern“ steht dadurch nicht nur für sich selbst, sondern erzählt von der geschundenen Seele des Jugendlichen. Dabei steigert Jang Dynamik und Wucht bis ins Unausweichliche. Die unterschwellige Gewalt wird schließlich zu einer Auseinandersetzung mit der verdrängten Vergangenheit und den ungelösten Folgen, die Hwayi langsam erdrücken. Das ist letztlich auch eine Metapher für die südkoreanische Gegenwart, wo die Menschen zwischen der Trennung vom Norden, den bedrückenden Erfahrungen der Militärdiktatur und der fehlenden Aufarbeitung dieser Ereignisse zerrissen sind.

    Fazit: Zehn Jahre nach seinem Erstlingswerk „Save the Green Planet“ beweist Jang Joon-Hwan mit „Hwayi“ wie sich spannendes und actionreiches Genrekino und ein intelligentes Persönlichkeitsdrama verbinden lassen.

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