Regelmäßig setzt Regie-Rebell Roland Reber mit seinem Team der Independent-Filmproduktion wtp aus München kleine Nadelstiche gegen den restlichen Kinobetrieb. Mit seinen unangepasst-erotischen bis theatralisch-verquasten Werken wie „24/7 – The Passion of Life“, „Engel mit schmutzigen Flügeln“ oder „Die Wahrheit der Lüge“ fällt er nicht nur völlig aus dem Rahmen, sondern landet seit dem Hinzustoßen der zeigefreudigen Ex-Primetime-Nonne Antje Nikola Mönning auch immer wieder auf der Titelseite der BILD-Zeitung. Dieser Widerspruch zwischen unabhängigstem Auteur-Kino und Klatschblatt-Aufmacher und damit zwischen höchstem Anspruch und niederen Instinkten passt jedoch ganz gut zu seinen Filmen, denn auch in denen beißen sich immer wieder Augenblicke tiefer Erkenntnis mit prätentiösen Plattitüden. Wie ein entfesselter Regietheater-Maestro macht Reber in Kollaboration mit seinen am Drehbuch beteiligten Schauspielern, was ihm gerade in den Sinn kommt – und das führt auch bei seinem neuen Film „Illusion“, in dem der selbst als Rocker-Biker auftretende Regisseur von einer Kneipe als ultimativem Sehnsuchtsort philosophiert, zu einem barbusig-assoziativen Reigen mit ebenso vielen genialen wie verpatzten Momenten.
Der Alltag als Hölle. Egal ob der Kundendienst seines Internetanbieters ihn falsch weiterverbindet oder die Frau am anderen Ende der Sexhotline einfach nicht schnell genug kommt, für den social-media-süchtigen Christian (Christoph Baumann) bedeutet jede neue Erfahrung nur noch mehr Frustration. Uli (Andreas Pegler) trägt jeden Tag ein Bayern-Trikot. Aber ob er wirklich Fan ist oder es nur aus Gewohnheit überstreift, das weiß er schon selbst nicht mehr. Ins Stadion geht er zumindest nicht, auch wenn er sich über den blauen Lidschatten seiner Frau Maja (Ute Meisenheimer) echauffiert, weil das ja schließlich die Farbe der Schalker sei. Der evangelische Pfarrer Theo (Wolfgang Seidenberg) begegnet seiner Partnerin Claudia (Marina Anna Eich) zwar mit aufrichtiger Zärtlichkeit, die bis zum liebevollen Zerteilen eines Käsekuchens reicht, aber zumindest bei ihr ist die sexuelle Luft längst raus. An einem Abend treffen all diese Menschen und noch einige andere in einer Kneipe in der Hoffnung aufeinander, ihre Lethargie abzustreifen und endlich wieder etwas zu fühlen…
Erst in der finalen Viertelstunde unternimmt Roland Reber einen halbherzigen Versuch, so etwas wie einen Plot in seinem surreal-sehnsuchtsvollen Kneipentraum zu installieren. Doch der geht völlig in die Hose und wirkt lieblos-angeklatscht. Aber am meisten lässt sich „Illusion“ sowieso abgewinnen, wenn man die einzelnen Sequenzen, Regieeinfälle und Monologe (selbst Dialoge sind hier oft Selbstgespräche, weil die Schauspieler meist direkt in Richtung Kamera gucken) einfach separat auf sich wirken lässt. Dann kann man Theo zu seinem grandiosen Gott-auf-dem-Bahnhofspissoir-Gedicht (in dem sich der Schöpfer als riesiger Fan von Arschgeigen outet) gratulieren und sich kurz darauf an die Stirn hauen, weil man auf bedeutungsschwanger vorgetragene Sinn(los)sprüche wie „In der Sinnlosigkeit verbirgt sich oft ein tieferer Sinn“ dann doch lieber verzichtet hätte. Die hervorbrechenden Sehnsüchte vom ultimativen Facebook-Profil bis zum 150-Mann-Sado-Maso-Schweinemasken-Gangbang werden dann nicht in der Kneipe selbst, sondern in Traumsequenzen ausgelebt, wobei Reber und sein Team den kreativen Einfallsreichtum einer gelungenen 70er-Jahre-No-Budget-Trash-Produktion an den Tag legen. Das mutet oft radikal und faszinierend an, dann aber auch wieder überdeutlich und platt. Doch für die Inszenierung gilt wie für den gesamten Film: 50 Prozent Genialität und 50 Prozent Küchenphilosophie sind uns immer noch tausendmal lieber als 100 Prozent langweiliger Durchschnitt.
Fazit: Anarchisch, absurd, anders. Aber auch verkopft, verquast und prätentiös.