Den Begriff des Rassismus gibt es überhaupt erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts, doch die Tatsache, dass Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert, verfolgt oder sogar getötet werden, führt viel weiter in die Geschichte zurück. Während sich Steve McQueen dem unbequemen Thema in seinem aufwühlenden Oscar-Abräumer „12 Years A Slave“ auf kraftvoll-schonungslose Weise genähert hat, wählt seine britische Landsmännin Amma Asante („A Way Of Life“) in ihrem ebenfalls an wahre Begebenheiten angelehnten Historien-Drama „Dido Elizabeth Belle“ einen wesentlich distinguierteren Ansatz – statt unverhohlener Grausamkeit muss ihre Titelfigur Ignoranz und stille Verachtung durchleben. Das im englischen Adelsmilieu des 18. Jahrhunderts angesiedelte Gesellschaftsporträt ist präzise gespielt und edel gestaltet, krankt aber trotz aller optischen Eleganz und erzählerischen Sorgfalt im Detail an einem allzu offensichtlichen Handlungsverlauf.
1769. Captain John Lindsay (Matthew Goode), ein angesehener Offizier der englischen Royal Navy, gibt seine uneheliche Tochter Dido Elizabeth Belle (als Kind: Lauren Julien-Box, jugendlich: Cara Jenkins, erwachsen: Gugu Mbatha-Raw), die er mit einer schwarzen Schiffssklavin gezeugt hat, in die Hände seines Onkels Lord Mansfield (Tom Wilkinson) und dessen Frau, Lady Mansfield (Emily Watson). Mansfield, seines Zeichens oberster Richter Englands, der gerade einen wegweisenden Fall zur Rechtmäßigkeit der Sklaverei verhandelt, ist anfangs wenig begeistert, nimmt Dido jedoch letztendlich wie eine leibliche Tochter auf und lässt ihr die gleiche höfische Ausbildung angedeihen wie ihrer Cousine Elizabeth Murray (Sarah Gadon). Dennoch ist die englische Oberschicht skeptisch gegenüber Dido, die bestenfalls geduldet wird. Vertrackt wird die Situation, als die beiden Mädchen verheiratet werden sollen. Dido hat von ihrem Vater eine stattliche Mitgift erhalten, während Elizabeth komplett ohne auskommen muss. Der Pastorensohn und angehende Anwalt John Davinier (Sam Reid) verliebt sich in Dido, hat aber nicht die gesellschaftliche Stellung, damit er um ihre Hand anhalten darf – anders als der Adlige Oliver Ashford (James Norton). Dessen verschlagen-snobistischer Bruder James (Tom Felton) hat es indes auf die hübsche Elizabeth abgesehen. Er ahnt nicht, dass bei ihr keinerlei Mitgift zu holen ist.
Von der wahren Geschichte der Dido Elizabeth Belle (1761 - 1804), die in der Londoner Adelsschicht für Wirbel sorgte, sind nur wenige Einzelheiten bekannt. Regisseurin Amma Asante hat sich hauptsächlich von einem Gemälde von Dido und ihrer Cousine Elizabeth aus dem Jahr 1779 inspirieren lassen. Es zeigt die beiden nebeneinandersitzend, also gesellschaftlich auf Augenhöhe – ein bemerkenswerter Umstand für das England der damaligen Zeit. Dido hat zeitlebens dafür gekämpft, als vollwertiges Mitglieds ihres Standes anerkannt zu werden. Die großen und kleinen Widrigkeiten, auf die sie dabei getroffen ist, zeigt uns Asante in ihrem Film: So darf Dido beispielsweise nicht mit den Gästen des Hauses speisen, denn die edlen Herren und Damen würden sich durch ihre Präsenz brüskiert fühlen. Stets schwingen versteckte, oft auch ganz offene Ressentiments mit, wenn Lord Mansfield seine „berüchtigte Mulattin“ auf das glatte Parkett der hohen Gesellschaft führt.
Durch den geschickten dramaturgischen Kniff, den bahnbrechenden historischen Prozess um den Versicherungsfall der „Zong“ als wichtige Nebenhandlung zu etablieren, wird der Blick immer wieder über Didos Einzelschicksal hinaus gerichtet und damit bekommt die Darstellung der übergreifenden Themen Ungleichheit, Rassismus und Diskriminierung noch einmal eine ganz andere Dimension: Der Captain des Sklavenschiffs „Zong“ ließ weit über 100 seiner Gefangenen 1781 einfach über Bord schmeißen – angeblich weil die Wasservorräte nicht für alle an Bord reichten, aber es liegt der Verdacht des Versicherungsbetrugs nahe, denn die Besitzer forderten Schadenersatz für die toten Sklaven. Mit dem allmählichen Fortschreiten der von Lord Mansfield geleiteten Gerichtsverhandlung parallel zur Geschichte Didos ergibt sich nach und nach ein überaus aufschlussreiches Zeitbild vom England des späten 18. Jahrhunderts – individuelles Erleben und gesellschaftliche Umstände spiegeln einander.
Regisseurin Asante verdichtet das Geschehen unaufdringlich zu einer Geschichtslektion. Sie führt uns das starre Ständesystem und die Machtverhältnisse dezent aber unnachgiebig vor (besonders einleuchtend und entlarvend über die Frage der Mitgiften für Dido und Elizabeth), sie bleibt betont unaufgeregt und kommt ohne dramatische Überhöhungen aus – britisches Understatement wie es einer solchen BBC-Co-Produktion gut zu Gesicht steht. Die inszenatorische Zurückhaltung lässt zugleich allerdings auch sehr deutlich spüren, dass der Handlung Überraschungen und Widerhaken fehlen: Egal ob man nun mit Vorwissen um die wahren Ereignisse in den Film geht oder nicht, hier folgt eine Szene so vorhersehbar und unausweichlich auf die andere, dass zuweilen fast auch die innere Spannung auf der Strecke bleibt, was die engagierten Schauspieler jedoch in aller Regel verhindern.
In der Titelrolle ist Gugu Mbatha-Raw, bekannt aus der TV-Serie „Touch“ und aus kleineren Parts in Filmen wie „Odd Thomas“ oder „Larry Crowne“ eine Entdeckung. Die Britin verleiht ihrer Figur eine große Bandbreite an Emotionen: Trotz der Ablehnung, die ihr aufgrund ihrer Hautfarbe entgegengebracht wird, ist Dido im eigenen Selbstverständnis unzweifelhaft ein Mitglied der höheren Gesellschaft und behält über weite Strecken eine ebenso erstaunliche wie ansteckende Unbekümmertheit, die den schwelenden Rassismus letztlich noch unerträglicher macht. Mbatha-Raw bildet zudem mit Sam Reid („Anonymus“), der als „junger Wilder“ Standesgrenzen durchbrechen und Didos Herz erobern will, ein zauberhaftes Paar, dazu sind die Routiniers Tom Wilkinson („Batman Begins“, „Michael Clayton“) und Emily Watson („Die Bücherdiebin“, „Gefährten“) als Lord und Lady Mansfield wie immer eine schauspielerische Bank – einzig „Harry Potter“-Widerling Tom Felton muss erneut einen unausstehlichen Schnösel verkörpern und hat dem bekannten Rollenprofil nichts hinzuzufügen.
Fazit: Jane Austen trifft „12 Years A Slave“: „Dido Elizabeth Belle“ ist ein akkurates, gediegen-unterkühltes Historien-Drama vor dem Hintergrund von Sklaverei und Rassismus im England des 18. Jahrhunderts.