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    The Unknown Known
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    The Unknown Known
    Von Tim Slagman

    Der Dokumentarfilmer Errol Morris ist fasziniert und angewidert zugleich von der Macht und ihrem Missbrauch. 2008 wurde er heftig kritisiert dafür, dass er in „Standard Operating Procedure“ einzelne Gesten des Missbrauchs und Leidens im berüchtigten Foltergefängnis Abu Ghraib in emotional aufgeheizten Einstellungen rekonstruierte. Da war er schon Oscar-Preisträger, 2004 gab es die begehrte Trophäe für „The Fog of War“, seinen Film um ein langes Interview mit dem ehemaligen US-Verteidigungsminister Robert McNamara. „The Unknown Known“ ist nun fast schon eine Fortsetzung zu diesem herausragenden Doku-Klassiker. Nun steht Donald Rumsfeld im Mittelpunkt, der das gleiche Amt wie McNamara innehatte. Wieder trägt die Dokumentation einen Titel, der vom Gestrüpp des Rätselhaften, Verwirrenden spricht, das aber gleichwohl mit Waffengewalt durchdrungen wurde. Dabei gelingt es Morris, die Ideologie seines Gesprächspartners zu entlarven, ohne diesen vorzuführen.

    Dabei beginnt er seine Analyse mit Rumfelds Obsession: dem Sammeln von Daten. Woran er denke, wenn er sich nachts ins Bett lege, wurde der kantige Republikaner bei einer Anhörung vor dem Senat gefragt. Die Antwort: „Geheimdienstinformationen“. Nie wollte dieser Sicherheitsfanatiker eine böse Überraschung erleben – und dann kam der 11. September 2001. Morris zeichnet dann einigermaßen chronologisch die jahrzehntelange Karriere Rumsfelds nach, die wie ein rasender Crashkurs in amerikanischer Politik ist, von Präsident Nixon bis hin zum jungen George Bush – bis es zur kontroversesten Phase seiner Amtszeit kommt, den Kriegen im Nahen Osten und der Errichtung des Sondergefängnisses in Guantanamo Bay auf Kuba.

    Ein Mindestmaß an zeitgeschichtlichen Vorkenntnissen ist sicher nötig, um Morris‘ Parforce-Ritt durch die jüngere Historie Amerikas in Gänze würdigen zu können. So war Rumsfeld ein Memo- und Aufzeichnungs-Verrückter, ganz nahe dran an Richard Nixon, der bekanntlich durch Tonbandmitschnitte zu Fall kam. Unter Nixons Nachfolger Gerald Ford wurde er dann zum ersten Mal Verteidigungsminister der USA. Morris bedient sich aus dem großen Fundus, den die Bilder- wie Nachrichtenmaschine Washingtons ohnehin ausspuckt, er fügt Aufnahmen aus Kriegen hinzu, und immer, immer wieder die Memos – und natürlich das Gesicht seines Gesprächspartners.

    Für seine Frau, sagte Morris in einem Interview, sei Donald Rumsfeld wie die Grinsekatze aus „Alice im Wunderland“: Am Ende bleibt nur das Lächeln übrig. Und Morris selbst wartet, wartet, wartet mit dem Schnitt, auch wenn Rumsfeld längst ausgesprochen hat, nur um auf dieses Lächeln zu hoffen, das manchmal kommt, oft aber auch nicht. Noch viel seltener als das Lächeln freilich kommen Anflüge von Zweifel oder Unsicherheit. Da ist einer mit sich im Reinen.

    Die Suche nach Erklärungen misslingt also, dies aber auf produktive Weise. Waterboarding in Guantanamo? Sei nie passiert. Abu Ghraib? Widerlich, ekelerregend. „Ich glaube an das Rechenschaftsprinzip“, daher habe Rumsfeld seinen Rücktritt angeboten. Dieser Bursche ist im Dialog nicht zu entlarven, Morris tut dabei das einzig Richtige: Er lässt ihn sprechen, seine reichlich martialische Weltsicht ausbreiten und montiert dagegen Statistiken – mehr als 100.000 tote Iraker, dreistellige Milliardenkosten. Am Ende wird sich der Definitionsmächtige selbst verhaspeln: „the unknown known“, war das jetzt das, was man nur zu wissen glaubte oder das, von dem man nicht wusste, dass man es weiß? Morris bietet keine Auflösung, aber er lässt Rumsfeld und sich selbst beim Argumentieren zuschauen.

    Dabei fährt Morris‘ Stammkameramann Robert Chappell immer wieder über einige der Schriftstücke, die Rumsfeld diktiert hat, zoomt hinein, beißt sich fest an Wörtern. Während über dem Kopf des Sprechenden transparente Ausschnitte aus Lexika eingeblendet sind, erinnert die düster tröpfelnde Musik von Danny Elfman manchmal an die Werke dieses Komponisten für Tim Burton. Ein leicht konsumierbarer Klangteppich zumeist, der aber eine drohende Vorahnung in sich trägt. Das Böse im vorgeblich Fröhlichen, so wie bei „Alice im Wunderland“ oder anderswo. Errol Morris hat einen Film über die Probleme bei der Wahrheitssuche gedreht, drückt sich nicht um eine Haltung herum, suhlt sich aber niemals in einer solchen.

    Fazit: In „The Unknown Known“ montiert Errol Morris Nachrichtenbilder und Schriftstücke zu einem Interview mit dem Ex-US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Diese scheinbar konservative Herangehensweise wird aber in der Hand des Regisseurs zu einer spannenden Auseinandersetzung um vorgefertigte Ideologie und die mühsame Suche nach der Wahrheit.

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