Mit seinem für gerade einmal 517,32 Euro produzierten Debüt „Dicke Mädchen“ gelang Axel Ranisch ein solcher Festivalerfolg, dass der Low-Budget-Film sogar noch seinen Weg ins Kino fand. Auf dem Münchner Filmfest 2013 legte er nun gleich zwei Produktionen nach: Neben dem Kinderfilm „Reuber“ präsentierte Ranisch auch den autobiographisch angehauchten Coming-of-Age-Film „Ich fühl mich Disco“. Durchzogen von den Liedern von Schlagerbarde Christian Steiffen lässt es der Jungregisseur zwar bei seiner Tragikomödie etwas an inszenatorischem Rhythmusgefühl vermissen, kann dafür aber mit einem erfrischend-sympathischen Vater-Sohn-Darstellergespann aufwarten.
Florian (Frithjof Gawenda) steckt mitten in der Pubertät und hat Probleme mit seinem Vater Hanno (Heiko Pinkoswki), der überhaupt nicht versteht, was in seinem Filius vorgeht. Selbst über den alten Motorroller des Turmspringtrainers kann sich Florian nicht freuen, denn er hätte viel lieber ein Klavier. Auch ohne Instrument tanzt er gern mit der verständnisvollen Mutter Monika (Christina Große) zu ironischen Songs von Schlageronkel Christian Steiffen (Christian Steiffen) durch die Wohnung. Gut, dass die Mutter stets zwischen ihren beiden Männern zu vermitteln weiß. Doch als Monika einen Schlaganfall erleidet und ins Koma fällt, wird die Familie auf eine harte Probe gestellt, denn zu allem Überfluss verguckt sich Florian auch noch in einen Schüler seines übergewichtigen Vaters...
Regisseur Axel Ranisch versteht seine autobiographisch gefärbte Tragikomödie als eine Liebeserklärung an die eigene Jugend, seine Heimat Lichtenberg und an seinen Vater. Das ungleiche Vater-Sohn-Gespann, das sich nach dem Unfall der Mutter zusammenraufen und gegenseitig Halt geben muss, bestimmt den Film. Kein Zufall also, dass Hauptdarsteller Frithjof Gawenda wie ein jugendliches Alter Ego des Regisseurs wirkt.
Strukturiert wird der Film durch den augenzwinkernden Schlagerklamauk von Christian Steiffen („Sexualverkehr“, „Eine Flasche Bier“) dessen Song „Ich fühl’ mich Disco“ gleich zum Filmtitel wird. Ob man dabei dem besonderen Humor des schmierigen Schlagersängers erliegt oder sich fragt, wann die Fremdschäm-Nummern endlich wieder verklingen, ist sicherlich Geschmackssache. Bei all der Schlagerseligkeit fällt es Ranisch allerdings bisweilen schwer den richtigen Ton zu finden, was durch seine ohnehin eher anarchische Herangehensweise ans Filmemachen noch verstärkt wird.
Zwar werden dabei das Leben im Plattenbau, die Ängste und Unzulänglichkeiten des ursympathisch verkörperten Vater-Sohn-Gespanns realistisch und überzeugend geschildert. Doch die Verarbeitung des Abschiednehmens von der geliebten Mutter kommt bei der Vielzahl an Themen – von Outing über Liebesnöte – etwas zu kurz. Allzu holprig schneidet Ranisch zwischen Momenten der Trauer, absurd-trashiger Situationskomik und Coming-Out-Problemen hin und her, so dass die Geschichte keineswegs so reibungslos rotiert wie Florians geliebte Diskokugel.
Ranisch schert sich nicht um gängige Schönheitsideale und präsentiert einen pummeligen Teenager mit großen Brillengläsern als Protagonisten ohne ihn als Witzfigur darzustellen. Der Regisseur nimmt diesen Florian mit seinen Ängsten, seinen Unsicherheiten und seinen erwachenden sexuellen Sehnsüchten ernst und lässt ihm auch seine Würde, wenn er mit der Mutter zusammen tanzend „Ja, ich sehne mich so sehr nach Sexualverkehr“ trällert.
Newcomer Frithjof Gawenda gibt diesen tagträumenden Jugendlichen, der seine erste Liebe erlebt und zugleich mit dem Verlust seiner geliebten Mutter umgehen muss, ungeheuer natürlich. Zusammen mit Ranisch-Stammschauspieler Heiko Pinkoswki („Dicke Mädchen“), der in der Rolle des überforderten, aber bemühten Vaters auftrumpft, wird so ein überzeugendes Vater-Sohn-Verhältnis etabliert, das zwischen Unverständnis und tiefer Verbundenheit pendelt. In einem unheimlich komischen Gastauftritt ist zudem Ranischs Mentor Rosa von Praunheim („Die Jungs vom Bahnhof Zoo“) als unkonventioneller Sexualtherapeut zu sehen.
Fazit: Zwischen Trauerarbeit und Coming Out verstrickt sich Axel Ranisch in seinem Film „Ich fühl mich Disco“ in seiner schlagergeschwängerten Lässigkeit, die der Coming-of-Age-Tragikomödie einen trashigen Anstrich verpasst, der ihr gleichzeitig etwas von ihrer emotionalen Kraft nimmt.