Der südkoreanische Regisseur Kim Ki-duk geht seit vielen Jahren dahin, wo es wehtut: Gewalt, Schuldgefühle, Rache und sexuelle Grenzüberschreitungen prägen Werke wie das bizarre Liebesdrama „Seom – Die Insel“ (2000), die gesellschaftskritische Auseinandersetzung mit den Folgen des Koreakriegs „Adress Unknown“ (2001) oder zuletzt „Pieta“ (2012), einen rauen Rachethriller über das Leiden armer Bevölkerungsteile im Schatten wirtschaftlichen Erfolgs. Bei seinem neuen Film, der Triebtragödie „Moebius, die Lust, das Messer“, bleibt sich Kim treu und präsentiert eine intensive Mischung aus Schuldkomplexen, brutalen Übergriffen und Perversion, die er bis zum zwiespältigen Ende mit sehenswerter Konsequenz arrangiert hat. Das Ergebnis ist allerdings noch sperriger als man es bei dem Regie-Exzentriker ohnehin gewohnt ist: Denn Kim verzichtet dieses Mal gänzlich auf Dialoge.
Ein Mann (Jo Jae-Hyeon), eine Frau (Lee Eun-woo) und ein jugendlicher Sohn (Seo Young-ju) bilden eine Kleinfamilie, in der nichts mehr in Ordnung ist, weil der Mann eine Affäre hat. Die Erkenntnis über die zerstörte Beziehung mündet schließlich in einem brutalen Rachewunsch: In der Nacht versucht die Frau, ihrem Mann den Penis abzuschneiden. Aber das gewünschte Opfer wacht auf, wehrt sich mit Fußtritten und befördert die Rächerin aus dem Zimmer. In rasender Wut läuft die Mutter nun in das Zimmer ihres Sohnes, wo sie den unschuldigen Jungen entmannt. Der anschließende Kampf zwischen den Eheleuten um das Geschlechtsteil endet mit dessen trotziger Verspeisung durch die Täterin. Im Krankenhaus kann der Jugendliche nur noch versorgt werden, muss aber fortan ein Leben ohne Penis führen. In der Folge leidet er unter Komplexen, wird von seinen Schulkameraden gedemütigt und in einen Strudel der Gewalt hineingezogen. Mit der vormaligen Geliebten seines Vaters beginnt er eine Beziehung, in der er Lust durch selbst empfundenen Schmerz erlebt, während sein Vater im Internet nach Möglichkeiten einer Penistransplantation recherchiert.
Binnen weniger Minuten häuft Kim Ki-duk in einer zerstörten Familie gewalttätige Auswüchse an, die schließlich im Exzess des verspeisten Penis ihren ebenso abstrusen wie grausamen Höhepunkt finden. Die Welle der Aggression brandet im Laufe der virtuos-dynamischen Montage so energiereich-aufschaukelnd auf, dass Kims Inszenierungsstil dieser Eingangssequenz nicht von ungefähr orgiastisch wirkt. Sex und Gewalt bilden eine tragische Einheit, die sich oftmals mit zerstörerischer Wucht entlädt. Daraus entwickelt Kim das Bild einer Triebgesellschaft, in der die Menschen Gefangene ihrer Sehnsucht nach lustvoller Erfüllung sind. Sowohl der Vater, der seinen Penis schließlich ebenfalls verliert, als auch der Sohn befriedigen sich in ihrer Verzweiflung, indem sie mit Steinen die eigene Haut blutig schürfen. Der Schmerz löst erst den Orgasmus aus, bevor er mit grausamer Intensität die Befriedigung verdrängt. Stöhnen und Röcheln vermischen sich zu einem irritierenden Manifest lustvollen Leidens, mit dem der Mensch auf seine dumpfen Ursprünge zurückgeworfen wird. Bei aller Bildung, intellektueller Entwicklung und kultureller Errungenschaften lässt sich der Trieb nicht verleugnen.
Aber Kim ist viel zu schlau, um die zerstörerische Wucht sexueller Lust auf eine einfache Aneinanderreihung abgründiger Szenen zu reduzieren. Er konstruiert vielmehr eine ineinandergreifende Kette eng verbundener Ereignisse, die schließlich in einer absurd-grausamen Ödipustragödie mündet, wenn der inzwischen mit dem Genital seines Vaters ausgestattet Junge nur bei seiner Mutter eine Erektion bekommt. Kim unterstreicht die Wirkung des Triebdramas durch den sachlichen Stil klar ausgeleuchteter Bilder als Gegenpol zu den teilweise übertrieben anmutenden Ereignissen. So bleibt der Ernst seiner Betrachtungen erhalten. Auch der Verzicht auf Dialoge rückt die physische Handlung ins Zentrum, mit der man als Zuschauer alleine ist. Kim zwingt einen dazu, die unausgesprochenen Gedanken der Figuren selbst auszuformulieren, und erzeugt eine brachiale Kraft der Stille. Dabei hätte es der Regisseur eigentlich belassen können, aber er stellt wieder einmal zusätzlich die Rückbesinnung auf das Spirituelle als Lösung vor. Dies geschieht hier ungemein schlicht, wird der gezeigten Tragödie der menschlichen Natur kaum gerecht und wirkt unfreiwillig satirisch.
Fazit: Kim Ki-duk wühlt in „Moebius, die Lust, das Messer“ unnachgiebig in den Abgründen der menschlichen Triebnatur herum und treibt sie meisterlich auf die Spitze. Den Rückgriff aufs Spirituelle muss man abhaken, dann bleibt die albtraumhafte Wirkung erhalten.