Am Ende der Sommerferien ist es wieder soweit: Tausende Kinder kommen in die Schule, müssen lernen, sich in einem Klassensystem zurechtzufinden, schließen neue Freundschaften und werden mit unvorhergesehenen Problemen konfrontiert. Genau davon erzählt „Pauls Schulweg“, eine Dokumentation von Wolfgang Andrä, der den sechsjährigen Paul ein halbes Jahr lang beobachtet und begleitet hat. Nicht nur, aber auch auf dem Schulweg, den er anfangs noch zusammen mit seiner Mutter bestreitet und mit zunehmender Selbstständigkeit allein. Davon, aber auch von den speziellen Vorteilen und Tücken des Schulsystems „Jenaplan“ erzählt Andrä in seiner interessanten Dokumentation.
Schon vor zehn Jahren entstand das Bildmaterial, aus dem nun die Dokumentation „Pauls Schulweg“ wurde. Damals beobachtete Wolfgang Andrä als Regisseur und Kameramann zusammen mit dem Tonmann Stefan Petermann den Sohn der gemeinsamen Studienfreundin Yvonne. Doch mit dem ersten Schnitt waren sie nicht zufrieden und so blieb das Projekt unvollendet. In den folgenden Jahren heirateten Andrä und Yvonne, womit Paul also zum Stiefsohn des Regisseurs wurde. Doch vor allem die Einschulung der gemeinsamen Tochter weckte das Interesse des Duos, sich mit neuem Blick an das alte Material zu machen.
Man muss diese ungewöhnliche Entstehungsgeschichte nicht unbedingt kennen, doch sie prägt deutlich die Herangehensweise, mit der Andrä Pauls erste Erfahrungen in der Schule schildert. Denn Paul ist eher ein stiller Junge, der sich nur langsam in die neue Umgebung einfindet und vor allem nur schwer Freunde findet. Verstärkt werden seine Schwierigkeiten durch das ungewöhnliche Schulsystem, das seine Schule in Weimar verfolgt.
Basierend auf den Theorien des Pädagogen Peter Petersen, geht es im so genannten Jenaplan um eine Art ganzheitliches Lernen. Jahrgangsübergreifend sitzen Kinder in einem Raum, werden nicht frontal in streng gegliederten Stunden unterrichtet, sondern zum freien Arbeiten angeleitet. Doch gerade diese Freiheit, die manche Schüler inspiriert, hemmt andere. Und führt bisweilen bei Eltern zu Unverständnis: Bezeichnend ein Moment bei einem Elternabend, bei dem eine Lehrerin einem ungläubigen Vater zu erklären versucht, dass er sein Kind nicht verbessern soll, wenn es etwas falsch schreibt. Stattdessen soll auch Falsches gelobt werden, da jede Form der Kritik offensichtlich als unterdrückend gewertet wird.
Doch abgesehen von solch merkwürdig anmutenden Extremen, wirkt die hier geschilderte Schule ganz normal. Lose den ersten Monaten Schulzeit folgend, beobachtet Andrä Pauls Entwicklung, zurückgenommen und formal eher schlicht gefilmt, aber immer mit einem guten Gespür für prägnante Momente. Vor allem dadurch lässt sich verschmerzen, dass die gewählte Herangehensweise an das Thema, bisweilen etwas trocken ist. Von der stilistischen und inhaltlichen Komplexität eines ähnlichen Films wie Nicolas Philbert „Sein und Haben“ ist diese kleine Produktion zwar weit entfernt, doch gerade die Betonung der Normalität lässt „Pauls Schulweg“ zu einer angenehm unspektakulären Dokumentation über eine entscheidende Lebensphase werden.
Fazit: „Pauls Schulweg“ liefert einen interessanten Einblick in die ersten Monate der Schulzeit, die ein stiller Sechsjähriger in Weimar durchlebt. Dank Wolfgang Andräs klarem Blick für das wesentliche, wird aus einem etwas trockenen Thema ein sehenswerter Dokumentarfilm.