Der Querdenker Wilhelm Reich gehört zu den umstrittensten Psychoanalytikern. Reich, dessen Idee der Triebbefreiung die Generation der 68er beeinflusste, verfügt auch über 50 Jahre nach seinem Tod 1957 noch über eine treue Gefolgschaft, doch es gibt auch kritische Stimmen, die ihm eine größere Relevanz für die Wissenschaft absprechen. Vor allem sein Konzept der orgastischen Potenz in der Sexualforschung stieß auf harsche Ablehnung und wurde auch von Reichs Lehrer Sigmund Freud scharf kritisiert. In Antonin Svoboda „Der Fall Wilhelm Reich“ ist von diesem Diskurs viel zu wenig zu spüren. Sein dahinplätscherndes Biopic über die letzten Jahre Reichs ist trotz der authentischen Rekonstruktion des bleiernen politischen und sozialen Klimas der USA im Kalten Krieg vor allem eins: langweilig.
1939 muss der österreichische Psychoanalytiker Wilhelm Reich (Klaus Maria Brandauer), der 1933 ein Buch über „Die Massenpsychologie des Faschismus“ veröffentlicht hat, in die USA fliehen. Dort baut er um eine treue Gefolgschaft, zu der sich später auch seine Tochter Eva (Julia Jentsch) gesellt, ein Institut zur Entwicklung der „Orgon-Therapie“ auf, wo er nach Entspannungsmethoden und der ursprünglichen Energie des Lebens forscht. Früher hat Reich mit Freud zusammengearbeitet, doch der hat längst mit ihm gebrochen – sein Porträt hängt allerdings immer noch in jedem Büro. Auch Einstein weist Reichs Methoden als unwissenschaftlich zurück, doch von einem, der die Entwicklung der Atombombe befürwortete, hält Reich ohnehin nicht viel. Die amerikanischen Behörden stehen Reich, dem Ex-Kommunisten und Prediger der befreienden Kraft des Orgasmus, geradezu feindselig gegenüber – bis er 1956 tatsächlich eine zweijährige Gefängnisstrafe antreten soll. Beim Prozess wird ihm der junge Psychiater Hamilton (Jamie Sives) als Gutachter zur Seite gestellt, der seinen Werdegang und seine Forschung untersucht, um festzustellen, ob dieser Querulant womöglich nicht schuldfähig sein könnte.
Statt seinem Zuschauer einen Zugang zu Wilhelm Reich und dessen kontroversen Thesen zu eröffnen, macht Regisseur Antonin Svoboda mit einer seltsam inkohärenten dramaturgischen Struktur diesen schwer: Weder chronologisch noch thematisch organisiert er seinen Stoff. Mal gibt es kleinere Zeitsprünge, dann wieder Phasen der linearen Erzählung. Diese Unentschlossenheit setzt sich auch bei den Figuren fort: Plötzlich taucht Reichs Tochter Eva im Institut auf, ein Zerwürfnis aus früheren Zeiten gilt es wohl zu heilen. Aber sie ist schließlich einfach da, das kurz angerissene Familiendrama bleibt für den Rest der Geschichte vergessen. Schwerwiegender wirkt sich dieses lauwarme Dahinplätschern bei der zentralen Figur des Films aus: Über die Theorien Reichs möchte Svoboda sich lieber keine Gedanken machen, entsprechend zeichnet er ein abstraktes Bild von einem letztlich beliebigen Nonkonformisten, der an der Starrheit des Systems scheitert. Mit dem allerdings ist auch deshalb unbedingt zu sympathisieren, weil über all die inneren Widersprüche dieser Figur, ein Mantel des Schweigens gedeckt wird.
Auch die Darstellung des großen Schauspielers Klaus Maria Brandauer („Tetro“, „Mephisto“, „James Bond 007 - Sag niemals nie“) wird von diesem übervorsichtigen Konzept geprägt: Er spielt seine Figur als von einer seltsamen Erschöpfung geplagt, kaum aufbrausend und in sich versunken. Wenn er altklug daher doziert, dann seltsam emotionslos als höchst zurückhaltender Patriarch. Die ihn umgebende Welt filmt Svoboda in Braun- und Grautönen, die von Filmemachern für diese Epoche so gerne bemüht werden, dass man dem schon überdrüssig ist. Da passt es ins Bild, dass die Agenten bei Svoboda so aussehen wie die „grauen Herren“ in Michael Endes Roman „Momo“.
Die Weite der amerikanischen Natur zelebriert Svoboda in schwelgerischen Panoramaaufnahmen, doch auch dieser Rückzugsort, von Atombombentests und Dürre bedroht, erweist sich als ebenso trügerisch wie das Freiheitsversprechen des Landes. Hier gelingt es Svoboda allerdings die Ambivalenz tatsächlich als Spannung, als produktive Triebkraft seiner Erzählung, zu inszenieren. Der Rest kommt so seltsam schleppend und verklemmt daher, als warte der Film auf einen Psychoanalytiker Wilhelm Reich des Kinos, um ihn von seinem Triebstau zu befreien.
Fazit: Ohne die Widersprüche seiner Hauptfigur auszuloten und ohne die Sprengkraft von dessen Theorien auch nur anzudeuten, plätschert Antonin Svobodas „Der Fall Wilhelm Reich“ weitestgehend langweilig dahin.