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    Jimmy's Hall
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Jimmy's Hall
    Von Carsten Baumgardt

    Die englische Sozialfilmer-Legende Ken Loach („Raining Stones“, „Sweet Sixteen“) wollte eigentlich in die Teilzeitrente gehen und nach seinem jüngsten Werk „Jimmy’s Hall“ keine Spielfilme mehr drehen, sondern nur noch Dokumentationen wie den auf der Berlinale 2013 präsentierten „The Spirit Of ‘45“ über die radikalen politischen Veränderungen in Großbritannien unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber trotz seines zarten Alters von 78 Jahren ließ der Regisseur nach dem anstrengenden Dreh von „Jimmy’s Hall“ durchblicken, doch noch einen kleinen Erzählfilm oder zwei in sich zu haben. Und das ist für alle Kinofreunde eine gute Nachricht, denn obwohl das an historische Tatsachen und Personen angelehnte Gute-Laune-Drama über den irischen Kommunisten Jimmy Gralton nicht zu Loachs besten Filmen zählt, zeigt „Jimmy’s Hall“ trotz einiger Schwächen nicht nur den engagierten Zugriff eines nimmermüden Linksaktivisten, sondern auch die souveräne Handschrift eines alten Meisters.

    Zehn Jahre war er weg, 1932 kehrt James „Jimmy“ Gralton (Barry Ward) aus dem New Yorker Exil zurück in seine irische Heimat, die er einst verlassen hatte, um einer drohenden Haftstrafe zu entgehen. Die Freude bei den meisten Bewohnern des Dorfes in der Grafschaft Leitrim ist groß, denn Jimmy ist eine lokale Legende. Doch nicht alle brechen in Jubelstürme aus. Der erzkonservative Pfarrer Sheridan (Jim Norton) fürchtet die Rückkehr des Antichristen – schließlich ist der Rückkehrer nicht nur Kommunist, sondern hat früher auch den Tanzschuppen „Jimmy’s Hall“ betrieben, wo die jungen Leute der Gegend sich ausleben, amerikanische Musik hören und von einer besseren Welt träumen konnten. Nun fordert die Jugend eine Wiedereröffnung des Etablissements. Jimmy kann sich den vehementen Rufen nicht lange verschließen und baut die Tanzhalle wieder auf. Daraufhin startet Pfarrer Sheridan einen unnachgiebigen Kreuzzug gegen den Heimkehrer sowie dessen altes und neues Gefolge. Unterdessen steckt Jimmy auch in Herzensangelegenheiten in einem Zwiespalt: Seine große Liebe von damals, Oonagh (Simone Kirby), ist inzwischen verheiratet und hat Kinder, doch beide fühlen sich immer noch zueinander hingezogen…

    Mit „Jimmy’s Hall“ greift Ken Loach den geschichtlichen Faden aus seinem Cannes-Gewinner „The Wind That Shakes The Barley“ von 2006 wieder auf: Nachdem der Unabhängigkeitskampf der Iren gegen die Briten am 6. Dezember 1921 in einen umstrittenen Kompromiss mündete, ist die Nation tief gespalten. 26 der 32 irischen Grafschaften bilden in der Folge den eigenständigen Freistaat Irland unter britischer Hoheit, der Rest bleibt als Nordirland Teil des Vereinigten Königreichs. Der ungelöste Konflikt steht in „Jimmy’s Hall“ stärker im Hintergrund, ist aber gleichwohl immer als prägende Kraft präsent. Der Film beginnt im Jahr 1932 mit der Rückkehr Jimmy Graltons, aber ein Sprung zehn Jahre in die Vergangenheit sowie eine mit Texteinblendungen illustrierte ausführliche Einführung schlagen explizit die Brücke zur Epoche von „The Wind That Shakes The Barley“ und wie schon dort richtet der bekennende Linke Ken Loach einen sehr parteiischen Blick auf das Geschehen. Seine Sympathien gelten stets den Underdogs, den Geschundenen und den Benachteiligten, das macht er etwa bei der recht schematischen Figurenzeichnung unmissverständlich klar.

    Für Loach sind die Fronten im Kampf Gut gegen Böse klar: Da sind auf der einen Seite die freigeistigen Kommunisten und auf der anderen die stockkonservativen, selbstgefälligen Kirchenfürsten, die eine wahre Hexenjagd in Gang setzen. Die unbestreitbaren negativen Seiten kommunistischer Politik kommen hier höchstens in Nebensätzen vor, vielmehr zeichnet Loach ein idealisiertes Bild des von der guten Sache überzeugten James Gralton: Der zurückhaltende Revoluzzer hat kein Unrecht im Sinn, er will nur seine Gedanken und Vorlieben frei ausleben, singen, tanzen, trinken, rauchen, Reden schwingen, Spaß haben – all das, was die Kirche im Irland der 30er Jahre so fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Über die historische Figur James Gralton (er ist bis heute der erste und einzige Ire, der je aus dem Land ausgewiesen wurde) ist recht wenig Verbürgtes bekannt. Die Freiheit, die diese Wissenslücken ihnen geben, nutzen Ken Loach und sein Stamm-Drehbuchautor Paul Laverty („The Wind That Shakes The Barley“, „Angels‘ Share“) ausgiebig und geben sich dabei immer wieder der Schwarz-Weiß-Malerei hin.

    Die starke Parteilichkeit der Filmemacher ist Stärke und Schwäche von „Jimmy’s Hall“ zugleich. Vortrefflich wird das Lebensgefühl der irischen Aufbegehrer vermittelt, die genug haben von den verkrusteten Strukturen des mächtigen Kirchenstaates und sich gegen Repressalien zur Wehr setzen. Die pure Fröhlichkeit und Lebenslust, die bei Musik und Tanz in Jimmys Tanzhalle zum Ausdruck kommen, sind ansteckend und bald befindet sich nicht nur der Regisseur auf die Seite der Rebellion, sondern auch das Publikum. Dazu fängt Kameramann Robby Ryan („Philomena“) die oft verregnete grüne Insel in sattesten Farben und voller idyllischer Pracht ein und trägt seinen Teil zur stimmig-heimatverbundenen Atmosphäre bei. Allerdings zementiert Loach nach einer dramaturgisch geschickt aufgebauten ersten halben Stunde, in der die Informationen sich tröpfchenweise zu einem ersten Gesamtbild fügen, die nun klaren Fronten immer stärker und die Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse verläuft zunehmend nach archetypischen Mustern und bleibt entsprechend überraschungsfrei.

    Loachs meinungsfreudiger Zugriff auf das Geschehen ist nicht unbedingt förderlich für ausgewogene Charakterporträts, aber seine sensible Arbeit mit den Schauspielern schafft dennoch immer wieder Platz für Zwischentöne und Akzente jenseits karikierender Eindeutigkeit. Und der Hauptfigur Jimmy Gralton mag in Barry Wards („Das Reich und die Herrlichkeit“) eher zahmer Darstellung das Charisma des geborenen Anführers fehlen, aber dafür steckt in seinem sympathischen Understatement eine Lebenseinstellung: In dieser Lesart wird Gralton erst in die Rolle des Kleine-Leute-Revolutionärs gedrängt, weil er gut reden kann und seinen eigenen Kopf hat. Loach überhöht Gralton nicht zum Polit-Superhelden, idealisiert ihn aber in seiner Menschlichkeit und seinem Freiheitsdrang, ähnlich ambivalent gestaltet er auch die Liebesgeschichte zwischen Jimmy und seiner Jugendfreundin Oonagh. Lange schwelen die alten Gefühle unter der Oberfläche, schließlich wirkt die neuentfachte Liebelei aber so romantisch und gefühlvoll, als ob Gralton ein Naturrecht auf seine große Liebe besitzt – die Tatsache, dass er sich in eine Ehe mit Kindern drängt wird hier jedenfalls allzu beschönigend heruntergespielt.

    Fazit: Mit dem frei nach historischen Begebenheiten inszenierten Irland-Drama „Jimmy’s Hall“ liefert Regie-Veteran Ken Loach einen von einer tragischen Liebesgeschichte unterfütterten, emotional einnehmenden, krass parteiischen Feelgood-Film.

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