Die Sehnsucht nach familiärer Harmonie ist ein zentrales Motiv in den Werken des japanischen Regisseurs Hirokazu Koreeda: So sehnten sich die verlassenen Kinder in „Nobody Knows“ nach der permanent abwesenden Mutter und wünschte sich der 12-jährige Koichi in „I wish“ nichts mehr, als dass seine geschiedenen Eltern wieder zusammenkommen. In „Like Father, Like Son“ sollen nun zwei sechsjährige Jungen, nach der Offenbahrung einer damaligen Verwechslung in der Entbindungsklinik, gar ihren bisherigen Eltern entrissen werden und sich an ein anderes Elternpaar gewöhnen, obwohl sie doch eigentlich nur möchten, dass ihre bisherige Familienwelt besehen bleibt. Doch bedingungslose elterliche Liebe für das sechs Jahre lang großgezogene Kind sowie der Wunsch sich in seinem eigenen Sohn widerzuspiegeln, erscheinen nach dem Wissen um die Verwechslung für die Eltern nicht mehr vereinbar und eine ungeheure Lebensentscheidung für den einen und damit gegen den anderen Jungen muss getroffen werden. Was der mögliche Austausch der Kinder, für die irritierten Jungen, insbesondere aber die beiden Elternpaare bedeutet, lotet Koreeda in seinem feinfühligen Familiendrama gekonnt aus.
Während der zielstrebige Ryota Nonomiya (Masharu Fukuyama) seine ganze Energie in ein großes Architekturbüro steckt und deshalb seinen kleinen Sohn Keita (Keita Ninomaya) meist nur zu Gesicht bekommt, kurz bevor dieser sich ins Bett verabschiedet, verbringt seine Ehefrau Midori (Machiko Ono) jeden Tag mit dem ruhigen Jungen und versucht diesen für die Aufnahmeprüfung an einer teuren Privatschule vorzubereiten. Doch das geordnete Leben der wohlhabenden Nonomiyas wird durch einen Anruf aus dem Krankenhaus, in dem Keita vor sechs Jahren zur Welt kam, aus der Bahn geworfen: Das erschütterte Paar wird darüber in Kenntnis gesetzt, dass ihr vermeintlicher Sohn eigentlich gar nicht ihr leibliches Kind ist, da es kurz nach der Geburt zu einer Verwechslung zweier Säuglinge kam. Ihr leiblicher Sohn wuchs bei den Saikis (Lily Franky, Yoko Maki) auf und heißt Ryusei (Hwang Sho-gen). Die höchst unterschiedlichen Ehepaare stehen nun vor der prekären Entscheidung zwischen dem liebgewonnenen oder dem eigenen, aber bei fremden Eltern aufgewachsenem Kind wählen zu müssen...
Anders als in den erzählerisch offen gestalteten Filmen „Nobody Knows“ oder „Still Walking“ konzipiert Koreeda „Like Father, Like Son“ um die schwerwiegende Frage herum, was es für eine Familie bedeutet, wenn der geliebte Sohn sich nicht als der eigene Abkömmling herausstellt, sondern von Geburt an eine Kindsverwechslung vorliegt. Ist die Liebe zum aufgezogenen Kind bedingungslos oder zählen die geteilten Gene letztlich mehr, als die gemeinsam verbrachte Zeit? Auch wenn Koreeda von einer konstruierten Verwechslungsgeschichte ausgeht und die Familien und insbesondere die Väter mit ihren gegensätzlichen Wertevorstellungen und Lebenseinstellungen bewusst extrem konträr und damit etwas zu schematisch anlegt, gelingt es dem Regisseur einmal mehr einen berührenden Film zu schaffen. Mit seiner gefühlvollen Inszenierung eröffnet er letztlich einen unvoreingenommenen Blick auf die beiden Familien und ihren Umgang mit dem Wissen, sechs Jahre lang das Kind eines anderen Paares großgezogen zu haben.
In einem leichtfüßigen, von klassischen Pianoklängen unterlegten Storyfluss fängt Koreeda mit aufmerksamem Blick Alltäglichkeiten, Momente der kindlichen Freude sowie auch plötzlich eintretende Betroffenheit und Trauer ein, welche die emotionale Angespanntheit aller Beteiligten offenbaren. Mit dem Wissen vom vertauschten Kind verbringen die Elternpaare die mit Keita und Ryusei verbrachte Zeit nun viel bewusster und mit einem schmerzenden Hintergedanken; rückt doch mit jedem Treffen der beiden Familien oder den ersten Wochenendbesuchen der Jungen bei ihren leiblichen Eltern die quälende Entscheidung näher, zwischen dem eigenen oder dem sechs Jahre lang großgezogenen und geliebten Jungen wählen zu müssen.
Der mit einem enorm natürlich agierenden Darstellerensemble gesegnete Film überzeugt mit seiner ruhigen Atmosphäre, die sich Zeit für das Einfangen von feinen Gefühlsregungen nimmt. Die Vaterfigur des ehrgeizigen Ryota Nonomiya steht dabei im Zentrum des Familiendramas und wird beeindruckend von Masaharu Fukuyama („Suspect X“) verkörpert, der ein vielschichtiges Bild eines nach außen hin strengen und einzig auf Kariere und Erfolg ausgerichteten Mannes zeichnet. Zu Beginn mit einem Überlegenheitsgefühl gegenüber der aus einer anderen sozialen Schicht stammenden Familie Saiki auftretend, zeigt er lange ebenso wenig Mitgefühl für seine, von der Situation emotional sehr mitgenommen Frau. Die schwerwiegende familiäre Problematik lässt aber schließlich auch Ryota alles andere als kalt.
Die fragile Gefühlswelt der sechsjährigen Jungen, die auf einmal zwei fremde Menschen als Mutter und Vater ansehen sollen, wird feinfühlig eingefangen. War der gutmütige Keita zuhause vor allem Ruhe und Disziplin sowie eine permanent um ihn sorgende Mutter gewöhnt, ist das Leben im Saiki-Haushalt mit zwei kleineren Geschwistern um einiges chaotisch-hektischer, aber auch beschwingter und lockerer. Musste Keita um die Anerkennung und die wenige Zeit seines bisherigen Vaters Ryota kämpfen, ist Yudai Saiki ein lockerer Vater, der viel Zeit mit seinen Kindern verbringt und sein kleines Elektrogeschäft nicht so wichtig nimmt. Der introvertierte Keita und der selbstbewusst-wilde Ryusei unterscheiden sich charakterlich erheblich voneinander, was sie auch auf verschiedene Weise mit der Unsicherheit und Trauer angesichts des möglichen Verlustes der geliebten Eltern umgehen lässt.
Fazit: Mit seinem sensiblen Drama „Like Father, Like Son“ beweist Regisseur Hirokazu Koreeda einmal mehr sein ungeheures Gespür für die Beobachtung von familiären Beziehungskonstellationen und das Einfangen von kindlichen Gefühlswelten. So ist „Like Father, Like Son“ ein emotional berührendes Werk rund um die universelle Frage, was eine Familie ausmacht und zusammenhält.